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Equilibrismus überzeugt nicht

Georg

Großmeister
14. September 2008
77
Der Equlibrismus ist kein sinnvolles Gesamtkonzept!
(Stellungnahme zu den Inhalten des Buches „Equilibrismus“ von Volker Freystedt und Eric Bihl )




Den Zielen der Autoren, den Umwelt- und Klimaschutz, die Verständigung und Zusammenarbeit der Völker sowie die Verteilung des Reichtums in der Bevölkerung zu verbessern, kann man nur zustimmen. Viele Zustandsbeschreibungen und mancher Lösungsansatz sind diskussionswürdig. Dabei liest sich das Werk „Equilibrismus“ auch noch sehr flüssig und unterhaltsam. Dennoch kann das Buch gerade im konstruktiven, visionären Bereich nicht überzeugen:


1. Bodensteuer
Der Equilibrismus schlägt vor, das Grundeigentum abzuschaffen, indem jährlich eine Steuer von 5 % auf den Immobilienwert erhoben wird.
Aber Eigenheimbesitzer legen sich für ihr Heim oft krumm, zahlen über Bankzinsen den Kaufpreis bereits doppelt. Sollen sie ihn nun über die Bodennutzungssteuer in 20 Jahren ein drittes Mal entrichten? Sollen alle Mieter des Staates und somit im Sinne des Equilibrismus alle "Außerirdische" werden, damit sich keiner benachteiligt fühlt? Wäre die Bodennutzungssteuer nicht auf Grundstücke zu beschränken, die nicht selbstgenutzt sind? Macht sie angesichts der Einkommensteuer auf Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, der Spekulations- und der Grundsteuer überhaupt Sinn?
Wer investiert in Bau und Erneuerung von Häusern, wenn alle Gebäude in staatlicher Hand sind? Gibt es dann nur noch Plattenbauten? Sollen die Eigenheimbesitzer, die von den Banken über Kreditzinsen und vom Staat über die vorgenannten Steuern geschröpft werden und die sich zu Bau und Kauf oft von der irrationalen Erwartung verleiten ließen, sie würden ewig leben, das Haus würde ewig stehen (volle Abschreibung in 100 Jahren) oder ihre Nachkommen würden es dankbar weiter bewohnen (statt woanders zu arbeiten und zu leben), obendrein abgestraft werden? Die Ausführungen zur Bodenordnung vernachlässigen auch, dass Grundstücksbesitzer für die Erschließung ihrer Grundstücke mit erheblichen Erschließungsbeiträgen (§§ 127 ff. BauGB) - oft in fünfstelliger Höhe - belastet werden.
Ein gesetzliches Vorkaufsrecht für Kommunen, wie es der Equilibrismus fordert, haben wir für bestimmte Fälle bereits (§ 24 BauGB).
Warum befasst sich der Equilibrismus mit Geld und Boden, nicht aber mit der Verteilung und Entlohnung von Arbeit? Welche Leistungsanreize im Arbeitsleben hält er bereit?


2. Kranken- und Rentenversicherung
Der Equilibrismus schlägt für die Krankenversicherung ein geteiltes Konto vor, wobei die Versicherten einen der beiden Teile stets durch Beitragszahlung wieder neu auffüllen müssen. Dies soll ihr Kostenbewusstsein stärken wie der Schadensfreiheitsrabatt in der Kfz.-Haftpflichtversicherung. Jedoch erscheint es ungeeignet, die Kostenexplosion im Gesundheitswesen zu bekämpfen: Ein geteiltes Krankenversicherungskonto würde Ärzte und Pharmaunternehmen nicht davon abhalten, überflüssige Behandlungen und Arzneien zu empfehlen. Was ein "kleiner Kratzer" ist und was sich zu einer Bedrohung ausweiten kann (Wundinfektion? Übertragung ansteckender Krankheiten?), ist für den medizinischen Laien kaum feststellbar. Wo es nur um Ästhetik oder relativ leicht verschmerzbare Verluste wie z.B. beim Zahnersatz geht, zieht sich die gesetzliche Krankenversicherung bereits in den Leistungen zurück.
Ferner schlägt der Equilibrismus vor, Kinder als angeblich bisher vernachlässigte Generation in das Rentenversicherungssystem mit einzubeziehen.
Was Kinder in der Rentenversicherung zu suchen haben sollen, bleibt jedoch unerfindlich. Von den Versicherungsfällen Alter und Invalidität sind sie naturgemäß nicht betroffen, und Versicherungsbeiträge können sie mangels Einkommens nicht zahlen. Kinder sind kein Risiko, das über eine Versicherung abgedeckt werden sollte.


3. Geld
Es wird vorgeschlagen, auf die Nutzung von Geld eine Geldnutzungssteuer und bei fehlender Nutzung eine Umlaufsicherungsgebühr zu erheben.
Es soll laut Equilibrismus große Geldmengen geben, die in den Händen weniger Reicher liegen und damit sowohl armen Individuen als auch der Gemeinschaft entzogen sind. Vor diesem Hintergrund überrascht es, dass es bereits genügen soll, Geld auf der Bank einzuzahlen, um der von ihm propagierten Umlaufsicherungsgebühr zu entgehen. Wie soll dies die Reichtumsverteilung ändern? Die Geldvermögen Reicher befinden sich doch wohl typischerweise auf Festgeldkonten oder in Fonds, die investieren. Das Geld der Reichen ist in aller Regel investiert und ergo im Umlauf; andernfalls könnte es keine Rendite abwerfen. Der "Sparstrumpf" bringt keine Zinsen und keine Rendite; der Geldwert verfällt dort durch Inflation. Der Unterschied einer "Geldnutzungssteuer" gegenüber Kapitalertrags-/Abgeltungssteuer ist nicht erkennbar, was soll die Grundnutzungssteuer der Steuer auf Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und der Grundsteuer sowie der Spekulationssteuer auf Grundstücke voraus haben? Hier wird im Ergebnis nichts Neues geboten.


4. Umstellung des Steuersystems von Einkommens- auf Verbrauchssteuern

Wenn, wie der Equilibrismus vorschlägt, Steuern nicht mehr auf das Einkommen, sondern nur auf den Verbrauch erhoben würden, dann wäre dies ein Anreiz, Geld nicht auszugeben, um es der Besteuerung zu entziehen. Außerdem entfiele dann die Möglichkeit, die Bezieher hoher Einkommen auch prozentual stärker zu besteuern als Geringverdiener, die derzeit in der Steuerprogression bei der Einkommenssteuer genutzt wird. Eine verbrauchsbezogene Besteuerung würde die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter öffnen. Hochbezahlte Manager würden sich die Hände reiben.
Die Besteuerung nach Verbrauch ist selbst in Umweltfragen kein Allheilmittel. So hat die Bahn bei einer Besteuerung des Flächenverbrauchs wohl Nachteile gegenüber dem Flugverkehr.


5. Regiogeld
Regiogeld, wie es der Equilibrismus befürwortet, steht in der Zielsetzung im Widerspruch zu den Grundfreiheiten der Europäischen Union. Es grenzt ausländische Erzeugnisse im Ergebnis aus. Wo die Herstellungs- und Transportkosten nicht dazu führen, dass Produkte, die von weither kommen, teurer sind als regional erzeugte, sollte man nicht über Regiogeld versuchen, die Märkte wieder zu schließen.


6. Demokratie
Gäbe es, wie der Equilibrismus fordert, anstelle eines einheitlichen Parlaments vier verschiedene, nämlich ein politisches, ein Wirtschafts-, ein Kultur- und ein Grundwerteparlament, so hätte das letztere kaum etwas zu tun, und das vorletzte würde eine Landeskompetenz auf Bundesebene zerren, was der Subsidiarität zuwiderliefe. Warum sollten gerade bei der vom Equilibrismus favorisierten ganzheitlichen Betrachtung ausgerechnet die Parlamente aufgeteilt werden, sodass eine Hand nicht mehr weiß, was die andere tut? Ungeklärt ist zudem ,welches die Haushaltslage für den ganzen Staat bestimmen würde. Spätestens hier bedürfte es einer Gesamtsicht aller Bereiche, um z. B. auch Aufwendungen für die Bildung im Haushalt berücksichtigen zu können.


7. Internationalisierung
Ein "Internationaler Zivilgerichtshof", der Konflikte zwischen Handelsregeln und Umweltabkommen schlichten soll, ist rechtstechnisch schwer vorstellbar. Denkbar wäre eher ein besonderes internationales Ökoverwaltungs- oder Ökostrafgericht.
Ein UN-Parlament nach dem Muster des Europäischen Parlaments, wie es der Equilibrismus befürwortet, wäre in der Tat wünschenswert. Realistisch ist es aber wohl erst dann, wenn alle Mitgliedstaaten es überhaupt praktizieren, ihre Bevölkerung in Wahlen nach deren Meinung zu befragen. Die harsche Kritik an EU und UNO erscheint überzogen. Wir sind mit der EU und der UNO sehr wohl vorangekommen. Leider dauert alles seine Zeit. Wenn wir uns in modernen Demokratien in Rebellenposen sonnen, statt unsere Anliegen in politischen Parteien einzubringen, dann verhalten wir uns selbst anachronistisch. Der Aufstieg der Grünen und bekennend homosexuelle politische Würdenträger haben uns gezeigt, dass das derzeitige politische System grundlegende Veränderungen zulässt und somit funktionieren kann. Demokratie ist Willensbildung von unten nach oben. Wenn sich unten kein Wille mehr bildet oder einbringt, wird oben nur noch geschachert. Das liegt aber an uns!

Es erscheint mir auch falsch, mit Feindbildern (Politik oder Wirtschaft sind schuld) zu arbeiten oder die Probleme sonstwie zu externalisieren. Die Wirtschaft taugt nicht als Feindbild (was der Equilibrismus anhand der Überschuldung von Unternehmen z.T. einräumt). Man sollte von ihr nur keine politischen Impulse erwarten. Betreibt z.B. eine Familie eine Bäckerei, so werden die Familienmitglieder nach außen kaum die Backwaren kritisieren oder die Legitimität ihrer Existenzgrundlage anderweitig in Frage stellen. Die Kritik muss von anderer Seite kommen.
Die Politiker sind und denken im Wesentlichen so wie die übrige Bevölkerung, auf deren Stimmen ihr Amt beruht. Wie wenig weise das Volk selbst manchmal entscheidet, kann man der Ablehnung der EU-Verfassung und der Wiederwahl George W. Bushs entnehmen. Es geht nicht darum, die Bosse einzelner Konzerne oder die politische Klasse zu bekämpfen, sondern die Bevölkerung muss ihr Engagement für Gemeinwohlfragen verstärken, ihre Anliegen erkennen und im System zur Geltung bringen.


8. Subsidiarität und Regionalisierung
Auch von den propagierten Grundsätzen der Subsidiarität und der Regionalisierung sollte man sich keine Wunder versprechen. Das Subsidiaritätsprinzip, wonach Entscheidungen auf einer möglichst bürgernahen Ebene zu treffen sind, ist bereits ein tragendes Element des EU-Rechts. Die Bundesländer, Landkreise und politischen Gemeinden beruhen auf derselben Idee. Aber wer kennt z. B. den Bürgermeister oder den Landrat, die für seine Region zuständig sind? Selbst bei den Namen der Ministerpräsidenten sind viele Bürger ratlos.


9. Askese der Umwelt zuliebe
Ich halte nichts davon, Verzicht zu predigen. Die Menschen wollen sich in ihrem Leben bestmöglich entfalten. Stattdessen muss es darum gehen, Orientierung zu geben. Zwei Beispiele: Es ist kein Verzicht, ein 3-Liter-Auto zu fahren, das 170 km/h läuft, 4 Personen kommod befördert und im Kofferraum dabei noch Platz für 5 Bierkisten hat (A2). Auch mit dem TGV an die französische Mittelmeerküste zu fahren und dort Badeurlaub zu verbringen, ist gegenüber einer Flugreise nach Honolu kein Verzicht. Sich sportlich und fit zu halten, statt vor dem Fernseher zu verfetten, ist ebenso kein Verzicht.


10. Neue Konzepte statt Reformen
... fordert der Equlibrismus. Dem ist zu entgegen: Reformieren wir uns! Ein in wirtschaftlicher, sozialer, kultureller oder pädagogischer Hinsicht wirklich neues und überzeugendes Konzept kann ich im Equilibrismus nicht erblicken. Am überzeugendsten sind noch die ökologischen und internationalen Visionen. Diese lassen sich jedoch in unsere Zivilisation implementieren. Der Versuch, Demokratie neu zu definieren, scheint mir misslungen, weil er bestehende Unzulänglichkeiten dämonisiert, ein nicht überzeugendes Gegenmodell entwickelt und damit Erreichtes auszuhöhlen droht.
Konkrete Antworten zur Schließung der Gerechtigkeitslücke bei der Reichtumsverteilung, dem Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit und zu den Leistungsanreizen in einer bewirtschafteten Gemeinschaft bleibt das Buch schuldig. Das Konzept, gegen sich selbst Wettbewerb zu machen, erscheint zu idealistisch. Dies hat schon im Sozialismus nicht funktioniert. Richtig ist sicher, dass es eines Bewusstseinswandels und einer Stärkung des Gemeinsinns bedarf. Der Grundsatz "Homo homini lupus" wird indes nicht auszurotten sein, Wettbewerb bleibt ebenso nötig wie gemeinsinn-orientierte Politik.
Technischen Fortschritt und Weltraumfahrt abzulehnen, wie es im Equilibrismus durchklingt, erscheint mir unangebracht. Um Energie zu sparen und sie umweltfreundlicher zu gewinnen und zu nutzen, bedarf es gezielter, energischer technischer Innovationen. Die Weltraumfahrt ist in den letzten Jahrzehnten immer weiter hinter gesetzten Zielen zurückgeblieben und wird nur noch alibimäßig betrieben. Zu befürchten – wie es der Equilibrismus tut -, wir könnten uns durch Flucht von diesem Planeten der Verantwortung entziehen, ist in dieser Situation absurd.
Weltraumfahrt ist ein Kristallisationspunkt für das Bewusstsein, dass es eine Menschheit gibt, die sich als Spezies weiterentwickeln kann, dass sie einen kleinen, zerstörbaren Planeten inmitten einer weithin lebensfeindlichen Umgebung bewohnt - die nächste bewohnbare Welt, wenn es sie gibt, ist allenfalls in einigen Generationen erreichbar - und dass sie, wenn sie sich anstrengt, über sich hinauswachsen und sich gemeinsam eine phantastische Zukunft schaffen kann. Einen solchen Aufbruch benötigt auch das Umweltbewusstsein.
In der Tat bewegt sich die Politik stets zwischen Anarchie und Tyrannei. Herrschaft ist für die ihr Unterworfenen immer unangenehm, jedoch auch in einer Demokratie nötig, nämlich um potentielle Despoten niederzuhalten. Man sollte daher einen völligen Neubeginn anstelle von Reformen nur dann empfehlen, wenn das Neue grundlegend anders, deutlich besser und nicht durch Fortentwicklung des Systems zu erreichen ist.


11. Ergebnis
Was bleibt vom "Equilibrismus"? Zwar wird laut Vorwort nicht der Anspruch erhoben, schnelle Patentlösungen zu bieten, jedoch bleibt das Versprechen, einen dritten Weg zwischen Kommunismus und Kapitalismus zu bieten, uneingelöst. Konkrete Vorschläge sind unabdingbar, will man nicht die bestehende, aus dem Gleichgewicht geratene Waage zerstören und nur Staub und Nebel hinterlassen. Die Welt ist kompliziert geworden.
Wer sie verbessern will, muss entweder in dem komplexen System Veränderungen im Detail vorschlagen oder eine alternative Gegenwelt so konkret schildern, dass man sie greifen und in ihren Konsequenzen beurteilen kann. Der Equilibrismus bietet nur Ansätze, die dem Status Quo entsprechen (Geldsteuer), die unnützen Schaden anrichten (wirtschaftliche Enteignung von Eigenheimbesitzern) oder die ohnehin auf der politischen Agenda stehen, auch wenn der nötige Nachdruck oft noch fehlt (Umweltschutz, Stärkung internationaler Organisationen).
So endet ein Buch, das mit frappierender Gesellschaftskritik beginnt und sich streckenweise brillant, überzeugend und dabei auch noch sehr unterhaltsam liest, mit unbefriedigenden Lösungsansätzen. Man hat das Gefühl, dass die Autoren sich zu schnell auf dieses oder jenes Pferd gesetzt, die gewählten Alternativen zu wenig geprüft und bei manchem Problem die Wurzel doch nicht gefunden haben.
Der gute Wille, die Umwelt zu schützen, die Reichtumsverteilung zu verbessern und die Verständigung und Zusammenarbeit der Völker zu verbessern, verdient Unterstützung. Für neue Konzepte gilt dies nur, wenn sie konkret und überzeugend genug sind, den Aufwand ihrer Umsetzung und die Veränderung des bisher Erreichten zu rechtfertigen. Daran fehlt es leider. Eine zündende Idee enthält der "Equilibrismus" trotz vieler bedenkenswerter Erwägungen letztlich nicht.
Laut Klappentext will das Buch "eine Expertise für Nicht-Fachleute" sein. Das ist es nicht, da viele Lösungsansätze nicht hinreichend überprüft und im Ergebnis untauglich sind.
 

Georg

Großmeister
14. September 2008
77
AW: Equilibrismus überzeugt nicht

Herzlichen Dank für diese eingehende Antwort! :lach1:
 
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