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Das "ß" in der Typografie

Giacomo_S

Prinz der Gnade
13. August 2003
4.321
Zuugegeben ein vergleichsweise banales Thema, aber mit banalen Themen bin ich hier ja nicht allein.

Immer öfter stelle ich in den Medien, dem Fernsehen vor allem, aber auch der Presse, dem Internet oder auch Verpackungen eine typografisch falsche Verwendung des Buchstabens "ß" fest. Damit ist jetzt keine Diskussion um die Rechtschreibung gemeint, vielmehr ist es ein typografisches Thema:

1. Der Buchstabe "ß" ist der einzige Buchstabe im deutschen Alphabet, für den kein Großbuchstabe existiert. Der Grund dafür ist historisch-typografischer Natur. Das ß ist eine sogenannte Ligatur, eine Verschmelzung aus s + z. Genauer handelt es sich um die Kombination eines von zwei verschiedenen Buchstaben s der Frakturschrift: Das eine s, wie ein "f ohne Querstrich" aussehend, konnte nur in der Mitte von Worten stehen und verschmolz mit dem z zum ß.
Da also das ß nur in der Mitte von Worten vorkommen konnte, gibt es für das ß keinen Großbuchstaben ("Versalie"), denn auch das zugehörige s konnte nur in der Mitte von Worten stehen.

2. Das Problem mit dem ß entsteht dann, wenn jemand, aus grafischen Gründen, um einem Text mehr Bedeutung zu geben, eine Zeile in Versalien setzen möchte. Und genau das passiert gerade im Fernsehen häufiger. Dann entstehen typografische Entgleisungen wie:

DEUTSCHLAND UND DER MAßREGELVOLLZUG
MEIßENER PORZELLAN
GEWALT AUF DER STRAßE

3. Typografisch gilt der Grundsatz, dass man das ß durch "ss" zu ersetzen hat, wenn man es in Versalien setzt. Aus "WUSSTEN SIE, DAß ..." (falsch) wird also "WUSSTEN SIE, DASS ..." (richtig).

4. Es gibt aber mindestens zwei Ausnahmen, wo man das ß nicht durch ss ersetzen kann:
a) Wenn es einen Bedeutungswandel bewirkt. Sagt man einer Dame "Ich bewundere Ihre Maße!" dann ist das eben etwas anderes als "Ich bewundere Ihre Masse!"
b) Bei Eigennamen, denn die darf man nicht ändern: Die "Schüßler-Salze" darf man eben nicht in "Schüssler-Salze" ändern.

5. Tatsächlich sehe ich fast täglich im Fernsehen derartige Entgleisungen, in Dokus, als Einblendungen in Diskussionssendungen. Aber auch auf Verpackungen, wie den unter 4. bereits genannten Schüßler-Salzen. Da liest man dann "SCHÜßLER-SALZE" und ähnlichen Blödsinn.
In diesem Fall gilt in der Grafik im Prinzip: Dann kann man Versalien eben nicht machen! Man muss sich als Grafiker eben etwas anderes ausdenken, um einen Text hervor zu heben.
 

Ein wilder Jäger

Barbarisches Relikt
Teammitglied
18. November 2007
21.819
Da aber z.B. für Denkmalinschriften nur Majuskeln in Frage kommen, stößt man spätestens da auf Probleme und sollte das ß durch das SZ ersetzen. Wobei ich natürlich zugestehe, daß es seinen ganz eigenen Charme hatte, wenn in einem in Fraktur gesetzten Buch ausschließlich das é von Béla Kun in Antiqua gesetzt wurde, weil es in der Fraktur keinen Akzent gab. (Lateinische, englische und französische Lehnworte und Zitate natürlich sowieso.)
 

Giacomo_S

Prinz der Gnade
13. August 2003
4.321
Interessant, an Denkmäler hatte ich gar nicht gedacht.
Was die Frage offen lässt, ob man zu anderen Zeit nicht nur anders geschrieben, sondern auch anders gesprochen hat. Darüber müszte ich nachdenken ...
 

Roman23

Geheimer Meister
16. Juli 2020
161
1. Der Buchstabe "ß" ist der einzige Buchstabe im deutschen Alphabet, für den kein Großbuchstabe existiert.

"Seit dem 29. Juni 2017 ist das große Eszett (ẞ) Bestandteil der amtlichen deutschen Rechtschreibung.
Der Buchstabe findet Verwendung in der Versalschrift, zum Beispiel im Wort STRAẞE,
als Schreibvariante zur Ersetzung des ß durch SS (STRASSE).
Über seine Aufnahme in das deutsche Alphabet wurde seit Ende des 19. Jahrhunderts diskutiert."
 

Giacomo_S

Prinz der Gnade
13. August 2003
4.321
"Seit dem 29. Juni 2017 ist das große Eszett (ẞ) Bestandteil der amtlichen deutschen Rechtschreibung.
Der Buchstabe findet Verwendung in der Versalschrift, zum Beispiel im Wort STRAẞE,
als Schreibvariante zur Ersetzung des ß durch SS (STRASSE).
Über seine Aufnahme in das deutsche Alphabet wurde seit Ende des 19. Jahrhunderts diskutiert."

Aha, da ist mir also etwas entgangen. Aber dennoch halte ich das für eine ästhetische Entgleisung. Die früheren Diskussionen sind mir z.T. bekannt, gerade auch in den 1920er Jahren hat man typografisch an dem Thema gearbeitet. Unbefriedengend finde ich das aber trotzdem.
 

Popocatepetl

Ritter Kadosch
27. August 2013
6.395
vor allem, jetzt hat man wieder so zwei buchstaben, die völlig anders ausgesprochen werden als sie aussehen, wie kleine f und s in fraktur...
 

Ein wilder Jäger

Barbarisches Relikt
Teammitglied
18. November 2007
21.819
Aha, da ist mir also etwas entgangen.
Ich dachte, Du hättest diese Fehlentscheidung ignoriert...

Gerade einmal angesehen, das Ding. Gott, ist das deren Ernst? Abgesehen von seiner Häßlichkeit ist dieser Buchstabe in der Ehmcke-Antiqua eine Minuskel, er hat eine Unterlänge.
 

William Morris

Meister des Tabernakels
4. Mai 2015
3.760
Für mich als Kalligrafen rollen sich bei dem Anblick aber auch immer die Fußnägel hoch. Mag ja sein, es gibt das ß als Großbuchstaben. Es sieht aber immer so aus, als hätte man den Kleinbuchstaben aus einer größeren Schrift genommen.

Abgesehen davon ist das ß ein recht schöner Buchstabe, der leider sträflich vernachlässigt wird.
 

Giacomo_S

Prinz der Gnade
13. August 2003
4.321
Für mich als Kalligrafen rollen sich bei dem Anblick aber auch immer die Fußnägel hoch. Mag ja sein, es gibt das ß als Großbuchstaben. Es sieht aber immer so aus, als hätte man den Kleinbuchstaben aus einer größeren Schrift genommen.

Abgesehen davon ist das ß ein recht schöner Buchstabe, der leider sträflich vernachlässigt wird.

Es werden halt, da der Monitor (anstatt das Druckwerk) zunehmend die Ästhetik der Typografie bestimmt, immer mehr Texte in Versalien gesetzt. Der Ersatz des ß, z.B. durch ss, wird aber oft als lautverändernd wahrgenommen, wenn nicht als eine Veränderung der Bedeutung.
Als Grafiker müsste man sich dann etwas anderes ausdenken - oder auch dahingehend wirken, dass der Inhalt des Textes geändert wird.

Viele Leute glauben, dass man das ß mit der neuen Rechtschreibung ganz abgeschaft hätte. Aber das stimmt ja nicht.

Hin- und wieder sieht man auch einmal ausländische Bedienungsanleitungen, wo jemand das ß überhaupt gar nicht erst kapiert hat: "GröBe", MaBe" oder der Grafiker hat stattdessen ein griechisches Beta eingesetzt ...
 

William Morris

Meister des Tabernakels
4. Mai 2015
3.760
Ein relativ bekanntes Internetportal schreibt dann auch mal was von "HeiBe Milf verführt ..."

Ich würde einfach bei der bisherigen Lösung, bei Großschreibung Doppel-S, bleiben, sieht optisch gefällig aus und stört nicht den Lesefluss.
 
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