osiris1806
Geheimer Meister
- 20. August 2002
- 273
traurig aber wie wahr wie wahr.....
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Der neue, freie Irak
von Robert Fisk
Independent / ZNet 04.07.2004
In seinen letzten Stunden als amerikanischer Prokonsul in Bagdad beschloss Paul Bremer, einige der Gesetze, die seine Besatzungsverwaltung dem Irak auferlegt hat, zu verschärfen.
So entwarf er z. B. ein neues Gesetz, das es irakischen Autofahrern verbietet, mit nur einer Hand am Lenkrad zu fahren. Ein weiteres Dokument verkündete feierlich, dass es von nun an ein Verbrechen ist, wenn ein Iraker seine Hupe benutzt, obwohl er sich nicht in einer Notsituation befindet. Am gleichen Tag wurden nördlich von Bagdad drei amerikanische Soldaten von einer am Straßenrand versteckten Bombe in Stücke gerissen, und das war nur einer von über 60 Angriffen auf US-Soldaten im Laufe des Wochenendes. Und währenddessen sorgte sich Mr. Bremer über das Autofahrverhalten der Iraker.
Es wäre schwer, ein groteskeres – und beunruhigenderes – Beispiel für Mr. Bremers Versagen zu finden, für seine hoffnungslose Unfähigkeit, das Debakel, das er und seine inkompetente Besatzungsverwaltung über den Irak gebracht haben, auch nur ansatzweise zu verstehen. Die alte „Zivilverwaltung“ – jetzt auf wunderbare Weise in die US-amerikanische Botschaft mit 3000 Mitarbeitern verwandelt – hatte nicht den geringsten Bezug zu den Menschen im Irak. Sie hätte sich genauso gut auf dem Mond befinden können. Seinen letzten Starauftritt hatte Mr. Bremer, als er Bagdad in einem US-Militärflugzeug verließ: Beschützt durch zwei von den USA bezahlte Söldner, die ihre Gewehre drohend auf die Fernsehteams richteten, bis sich die Kabinentür schloss. Und dabei war Mr. Bremer bekanntlich auf seinen Posten berufen worden, weil er als „Anti-Terrorismus“-Experte galt.
Die meisten Mitarbeiter der amerikanischen Zivilverwaltung, die sich aus Bagdad abgesetzt haben, tun jetzt genau das, was wir immer schon vermuteten: Nachdem sie mit ihrem Versuch fertig waren, dem „neuen“ Irak einen ideologischen US-Stempel aufzudrücken, haben sie sich nach Washington aufgemacht, um im Wahlkampf von Bush mitzuarbeiten. Aber die, die in der „internationalen Zone“ zurückgeblieben sind – wir müssen jetzt so tun, als wären sie keine Besatzungsverwaltung mehr – machen kein Geheimnis aus ihrer Verzweiflung. „Die Ideologie ist weg. Die Ambitionen sind weg. Wir haben keine Ziele mehr“, sagte einer von ihnen letzte Woche. „Wir leben von einem Tag auf den anderen. Wir versuchen jetzt nur noch, den Deckel auf dem Topf zu halten bis zum Januar 2005 [zu diesem Datum sollen die ersten irakischen Wahlen abgehalten werden]. Das ist unser einziges Ziel – Durchhalten bis nach den Wahlen – und dann nichts wie raus hier.“
Die Vorführung von Saddam Hussein vor einem „Gericht” in Bagdad letzte Woche – in einem seiner früheren Paläste – war der letzte Trumpf der Besatzer. Danach wird es keine „guten Nachrichten“ im Irak mehr geben, keine Tricks, keine weiteren Gefangennahmen, keine Erfolgsmeldungen mehr vor den Wahlen in den USA im November. Aber sogar das Gerichtsmelodram war symptomatisch dafür, wie wenig Macht der Westen wirklich bereit ist, an einen Irak zu übergeben, dem man letzte Woche angeblich die „volle Souveränität“ übertrug.
Weiterhin halten die Amerikaner Saddam gefangen – in Katar, nicht im Irak – und die Amerikaner blieben auch Herren des Verfahrens in dem Gericht, vor dem Saddam erschien. Die „Zivilisten“ im Gerichtssaal waren amerikanische Soldaten in zivil. Die Amerikaner zensierten die Aufnahmen von der Anhörung, setzten sich über den Wunsch des Richters hinweg, auch den Ton aufzunehmen, und behielten sich die Freigabe der Videobänder vor. Später konfiszierten drei amerikanische Offiziere alle Originalaufnahmen der Verhandlung. Einer der betroffenen Reporter sagte hinterher: „Das letzte Mal ist mir so etwas passiert, als die Iraker mir in Basra während des Golfkriegs 1991 meine Aufnahmen abnahmen.“
Aber der Show-Prozess gegen Saddam – der natürlich keinen Verteidiger hatte - wird nicht nur ungeschickt gehandhabt. Denn sollte er in der Zukunft jemals eine faire Verhandlung bekommen, wurde durch die Manipulation der Videobänder letzte Woche ein Präzedenzfall geschaffen. Denn jetzt kann er wieder „zum Schweigen gebracht“ werden – wenn er zum Beispiel vom Drehbuch abweicht und anfängt, dem Gericht über seine engen Beziehungen zu den USA zu berichten statt über seine nicht-existenten Verbindungen zu al-Qaida.
Die amerikanische Besatzung geht in vieler Hinsicht weiter. Die 146.000 US-Soldaten sind weiterhin unübersehbar im Irak, ihre Panzer bewachen die amerikanische „Botschaft“, ihre gepanzerten Fahrzeuge beherrschen das Straßenbild in Bagdad, ihre Konvois rollen über die Landstraßen – und gelegentlich explodieren sie auch. Die „neue“ und „souveräne“ Regierung kann ihnen nicht befehlen, das Land zu verlassen. Die Aufträge für den Wiederaufbau, die Mr. Bremer an US-Firmen vergab, stellen sicher, dass irakisches Geld weiterhin an amerikanische Firmen geht, was Naomi Klein in The Nation zutreffend als „Milliardenraub“ bezeichnete. Und Mr. Bremer hat es sogar geschafft, Gesetze zu erlassen, die die „neue“ und „souveräne“ Regierung nicht ändern darf.
Eines der tückischsten ist die Wiedereinsetzung des 1984 von Saddam erlassenen Gesetzes, das jeden Streik verbietet. Diese Dummheit verfolgte die Absicht, den Irakischen Gewerkschaftsbund mundtot zu machen. Dabei gehören die Gewerkschaften zu den wenigen säkularen Gruppierungen im Irak, die gegen die strenge Einhaltung der Religionsvorschriften und gegen den Fundamentalismus eintreten. Eine starke Gewerkschaftsbewegung könnte eine wichtige Basis für die Demokratie in einem neuen Irak werden. Aber nein, Mr. Bremer schützt lieber die Interessen des Großkapitals.
Und währenddessen wächst die Macht der Söldner. Die schwer bewaffneten Söldner von Firmen wie Blackwater schubsen die Iraker herum, die ihnen im Weg sind: Schon zweimal haben kurdische Journalisten eine von Bremers Pressekonferenzen verlassen, weil sie von diesen Männern bedroht wurden. In Bagdad wimmelt es von ausländischen Söldnern mit schweren Waffen, die Iraker auf der Straße anschreien und beschimpfen und sich in den schlecht verteidigten Hotels der Stadt betrinken. Für die einfachen Iraker verkörpern diese Männer alles, was falsch ist am Westen. Wir nennen sie „Vertragsarbeiter“, aber es häufen sich besorgniserregende Berichte, dass diese Söldner mit völliger Straffreiheit unschuldige Iraker erschießen. Das US-Militär und Diplomaten haben nun ein Verhältnis von 80 zu 20 für die Aufrechterhaltung der „Sicherheit“ festgesetzt – 80 irakische Söldner für 20 westliche.
Und selbst wenn Präsident Bush es vergessen kann: In der Erinnerung der Iraker lebt der Skandal von Abu Ghraib weiter und es wird eine Generation dauern, die von US-Soldaten begangenen Demütigungen aus dem Gedächtnis zu löschen. Eine linke Gruppierung in Bagdad behauptet, dass mehrere Frauen, die in dem Gefängnis angeblich von irakischen Polizisten vergewaltigt wurden, während die Amerikaner zusahen, von ihren Familien wegen ihrer „Schande“ getötet wurden.
Große Teile des Landes sind mittlerweile außerhalb jeder Kontrolle der Regierung – sogar der Amerikaner. Falludscha ist praktisch eine Volksrepublik und sogar in Bagdad herrscht Lynchjustiz. Letzten Monat wurde ein 20-jähriger Mann in den Slums von Sadr City in Bagdad durch die so genannte „Mahdi-Armee“ von Muktada al-Sadr öffentlich hingerichtet, weil er mit den Amerikanern „kollaboriert“ hatte. Verständlicherweise wagen es nur wenige Journalisten, Bagdad zu verlassen – sehr zur Freude des US-Militärs. „Sie haben all diese armen Menschen auf der Hochzeitsfeier in der Nähe der syrischen Grenze getötet und unsere Quellen im Militär haben uns gesagt, sie haben Scheiße gebaut“, beschwerte sich letzte Woche ein amerikanischer Korrespondent. „Dann behauptet [Brigadegeneral] Kimmitt, dass die Toten alle Terroristen waren und er weiß genau, dass wir nicht hinfahren können, um zu beweisen, dass das nicht stimmt.“
Wir dürfen nicht vergessen, dass Ijad Alawi, der neue Ministerpräsident, sowohl für den amerikanischen als auch für den britischen Geheimdienst arbeitete, und früher Mitglied der Baath-Partei war. Er hat sich sogar vor Journalisten gerühmt, während seiner Zeit im Exil Geld von 14 verschiedenen Geheimdiensten erhalten zu haben. Wie „frei“ der Irak nach Meinung Alawis auch sein mag, er wird sich nicht gegen seine amerikanischen Beschützer stellen – auch nicht gegen die finstere Gestalt von John Negroponte, dem neuen US-Botschafter, der wegen seiner Rolle in Honduras berüchtigt ist.
Ironischerweise liegt die einzige wirkliche Hoffnung für die neue Regierung darin, das zu tun, was die Mehrheit der Bevölkerung will: die Amerikaner aufzufordern, das Land zu verlassen. Aber natürlich kann Alawi das nicht tun. Seine „souveräne“ Regierung braucht die amerikanischen Truppen zum Schutz vor der eigenen Bevölkerung, die wiederum die amerikanischen Truppen nicht im Land haben will.
Und so brodelt es im Irak weiter, mindestens bis zu den Wahlen im Januar 2005: Von Zeit zu Zeit hebt sich der Deckel bedrohlich, um uns mit einem kleinen Ausblick auf die Zukunft zu erschrecken. Viele Iraker glauben, dass es einen neuen Diktator geben wird, einen „demokratisch gesinnten starken Mann“ (in den unheimlich klingenden Worten des amerikanischen Neokonservativen Daniel Pipes), der die Sicherheit bringen soll, die wir ihnen nicht gegeben haben.
Denn nach den Wahlen, wenn sie denn jemals stattfinden, werden wir mit der üblichen Selbstgerechtigkeit verkünden, dass uns keine Schuld mehr trifft, wenn im Irak etwas schief läuft. Wir haben die Iraker von Saddam befreit, werden wir sagen. Wir haben ihnen die „Demokratie“ gebracht – und seht euch an, was sie daraus gemacht haben.
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Der neue, freie Irak
von Robert Fisk
Independent / ZNet 04.07.2004
In seinen letzten Stunden als amerikanischer Prokonsul in Bagdad beschloss Paul Bremer, einige der Gesetze, die seine Besatzungsverwaltung dem Irak auferlegt hat, zu verschärfen.
So entwarf er z. B. ein neues Gesetz, das es irakischen Autofahrern verbietet, mit nur einer Hand am Lenkrad zu fahren. Ein weiteres Dokument verkündete feierlich, dass es von nun an ein Verbrechen ist, wenn ein Iraker seine Hupe benutzt, obwohl er sich nicht in einer Notsituation befindet. Am gleichen Tag wurden nördlich von Bagdad drei amerikanische Soldaten von einer am Straßenrand versteckten Bombe in Stücke gerissen, und das war nur einer von über 60 Angriffen auf US-Soldaten im Laufe des Wochenendes. Und währenddessen sorgte sich Mr. Bremer über das Autofahrverhalten der Iraker.
Es wäre schwer, ein groteskeres – und beunruhigenderes – Beispiel für Mr. Bremers Versagen zu finden, für seine hoffnungslose Unfähigkeit, das Debakel, das er und seine inkompetente Besatzungsverwaltung über den Irak gebracht haben, auch nur ansatzweise zu verstehen. Die alte „Zivilverwaltung“ – jetzt auf wunderbare Weise in die US-amerikanische Botschaft mit 3000 Mitarbeitern verwandelt – hatte nicht den geringsten Bezug zu den Menschen im Irak. Sie hätte sich genauso gut auf dem Mond befinden können. Seinen letzten Starauftritt hatte Mr. Bremer, als er Bagdad in einem US-Militärflugzeug verließ: Beschützt durch zwei von den USA bezahlte Söldner, die ihre Gewehre drohend auf die Fernsehteams richteten, bis sich die Kabinentür schloss. Und dabei war Mr. Bremer bekanntlich auf seinen Posten berufen worden, weil er als „Anti-Terrorismus“-Experte galt.
Die meisten Mitarbeiter der amerikanischen Zivilverwaltung, die sich aus Bagdad abgesetzt haben, tun jetzt genau das, was wir immer schon vermuteten: Nachdem sie mit ihrem Versuch fertig waren, dem „neuen“ Irak einen ideologischen US-Stempel aufzudrücken, haben sie sich nach Washington aufgemacht, um im Wahlkampf von Bush mitzuarbeiten. Aber die, die in der „internationalen Zone“ zurückgeblieben sind – wir müssen jetzt so tun, als wären sie keine Besatzungsverwaltung mehr – machen kein Geheimnis aus ihrer Verzweiflung. „Die Ideologie ist weg. Die Ambitionen sind weg. Wir haben keine Ziele mehr“, sagte einer von ihnen letzte Woche. „Wir leben von einem Tag auf den anderen. Wir versuchen jetzt nur noch, den Deckel auf dem Topf zu halten bis zum Januar 2005 [zu diesem Datum sollen die ersten irakischen Wahlen abgehalten werden]. Das ist unser einziges Ziel – Durchhalten bis nach den Wahlen – und dann nichts wie raus hier.“
Die Vorführung von Saddam Hussein vor einem „Gericht” in Bagdad letzte Woche – in einem seiner früheren Paläste – war der letzte Trumpf der Besatzer. Danach wird es keine „guten Nachrichten“ im Irak mehr geben, keine Tricks, keine weiteren Gefangennahmen, keine Erfolgsmeldungen mehr vor den Wahlen in den USA im November. Aber sogar das Gerichtsmelodram war symptomatisch dafür, wie wenig Macht der Westen wirklich bereit ist, an einen Irak zu übergeben, dem man letzte Woche angeblich die „volle Souveränität“ übertrug.
Weiterhin halten die Amerikaner Saddam gefangen – in Katar, nicht im Irak – und die Amerikaner blieben auch Herren des Verfahrens in dem Gericht, vor dem Saddam erschien. Die „Zivilisten“ im Gerichtssaal waren amerikanische Soldaten in zivil. Die Amerikaner zensierten die Aufnahmen von der Anhörung, setzten sich über den Wunsch des Richters hinweg, auch den Ton aufzunehmen, und behielten sich die Freigabe der Videobänder vor. Später konfiszierten drei amerikanische Offiziere alle Originalaufnahmen der Verhandlung. Einer der betroffenen Reporter sagte hinterher: „Das letzte Mal ist mir so etwas passiert, als die Iraker mir in Basra während des Golfkriegs 1991 meine Aufnahmen abnahmen.“
Aber der Show-Prozess gegen Saddam – der natürlich keinen Verteidiger hatte - wird nicht nur ungeschickt gehandhabt. Denn sollte er in der Zukunft jemals eine faire Verhandlung bekommen, wurde durch die Manipulation der Videobänder letzte Woche ein Präzedenzfall geschaffen. Denn jetzt kann er wieder „zum Schweigen gebracht“ werden – wenn er zum Beispiel vom Drehbuch abweicht und anfängt, dem Gericht über seine engen Beziehungen zu den USA zu berichten statt über seine nicht-existenten Verbindungen zu al-Qaida.
Die amerikanische Besatzung geht in vieler Hinsicht weiter. Die 146.000 US-Soldaten sind weiterhin unübersehbar im Irak, ihre Panzer bewachen die amerikanische „Botschaft“, ihre gepanzerten Fahrzeuge beherrschen das Straßenbild in Bagdad, ihre Konvois rollen über die Landstraßen – und gelegentlich explodieren sie auch. Die „neue“ und „souveräne“ Regierung kann ihnen nicht befehlen, das Land zu verlassen. Die Aufträge für den Wiederaufbau, die Mr. Bremer an US-Firmen vergab, stellen sicher, dass irakisches Geld weiterhin an amerikanische Firmen geht, was Naomi Klein in The Nation zutreffend als „Milliardenraub“ bezeichnete. Und Mr. Bremer hat es sogar geschafft, Gesetze zu erlassen, die die „neue“ und „souveräne“ Regierung nicht ändern darf.
Eines der tückischsten ist die Wiedereinsetzung des 1984 von Saddam erlassenen Gesetzes, das jeden Streik verbietet. Diese Dummheit verfolgte die Absicht, den Irakischen Gewerkschaftsbund mundtot zu machen. Dabei gehören die Gewerkschaften zu den wenigen säkularen Gruppierungen im Irak, die gegen die strenge Einhaltung der Religionsvorschriften und gegen den Fundamentalismus eintreten. Eine starke Gewerkschaftsbewegung könnte eine wichtige Basis für die Demokratie in einem neuen Irak werden. Aber nein, Mr. Bremer schützt lieber die Interessen des Großkapitals.
Und währenddessen wächst die Macht der Söldner. Die schwer bewaffneten Söldner von Firmen wie Blackwater schubsen die Iraker herum, die ihnen im Weg sind: Schon zweimal haben kurdische Journalisten eine von Bremers Pressekonferenzen verlassen, weil sie von diesen Männern bedroht wurden. In Bagdad wimmelt es von ausländischen Söldnern mit schweren Waffen, die Iraker auf der Straße anschreien und beschimpfen und sich in den schlecht verteidigten Hotels der Stadt betrinken. Für die einfachen Iraker verkörpern diese Männer alles, was falsch ist am Westen. Wir nennen sie „Vertragsarbeiter“, aber es häufen sich besorgniserregende Berichte, dass diese Söldner mit völliger Straffreiheit unschuldige Iraker erschießen. Das US-Militär und Diplomaten haben nun ein Verhältnis von 80 zu 20 für die Aufrechterhaltung der „Sicherheit“ festgesetzt – 80 irakische Söldner für 20 westliche.
Und selbst wenn Präsident Bush es vergessen kann: In der Erinnerung der Iraker lebt der Skandal von Abu Ghraib weiter und es wird eine Generation dauern, die von US-Soldaten begangenen Demütigungen aus dem Gedächtnis zu löschen. Eine linke Gruppierung in Bagdad behauptet, dass mehrere Frauen, die in dem Gefängnis angeblich von irakischen Polizisten vergewaltigt wurden, während die Amerikaner zusahen, von ihren Familien wegen ihrer „Schande“ getötet wurden.
Große Teile des Landes sind mittlerweile außerhalb jeder Kontrolle der Regierung – sogar der Amerikaner. Falludscha ist praktisch eine Volksrepublik und sogar in Bagdad herrscht Lynchjustiz. Letzten Monat wurde ein 20-jähriger Mann in den Slums von Sadr City in Bagdad durch die so genannte „Mahdi-Armee“ von Muktada al-Sadr öffentlich hingerichtet, weil er mit den Amerikanern „kollaboriert“ hatte. Verständlicherweise wagen es nur wenige Journalisten, Bagdad zu verlassen – sehr zur Freude des US-Militärs. „Sie haben all diese armen Menschen auf der Hochzeitsfeier in der Nähe der syrischen Grenze getötet und unsere Quellen im Militär haben uns gesagt, sie haben Scheiße gebaut“, beschwerte sich letzte Woche ein amerikanischer Korrespondent. „Dann behauptet [Brigadegeneral] Kimmitt, dass die Toten alle Terroristen waren und er weiß genau, dass wir nicht hinfahren können, um zu beweisen, dass das nicht stimmt.“
Wir dürfen nicht vergessen, dass Ijad Alawi, der neue Ministerpräsident, sowohl für den amerikanischen als auch für den britischen Geheimdienst arbeitete, und früher Mitglied der Baath-Partei war. Er hat sich sogar vor Journalisten gerühmt, während seiner Zeit im Exil Geld von 14 verschiedenen Geheimdiensten erhalten zu haben. Wie „frei“ der Irak nach Meinung Alawis auch sein mag, er wird sich nicht gegen seine amerikanischen Beschützer stellen – auch nicht gegen die finstere Gestalt von John Negroponte, dem neuen US-Botschafter, der wegen seiner Rolle in Honduras berüchtigt ist.
Ironischerweise liegt die einzige wirkliche Hoffnung für die neue Regierung darin, das zu tun, was die Mehrheit der Bevölkerung will: die Amerikaner aufzufordern, das Land zu verlassen. Aber natürlich kann Alawi das nicht tun. Seine „souveräne“ Regierung braucht die amerikanischen Truppen zum Schutz vor der eigenen Bevölkerung, die wiederum die amerikanischen Truppen nicht im Land haben will.
Und so brodelt es im Irak weiter, mindestens bis zu den Wahlen im Januar 2005: Von Zeit zu Zeit hebt sich der Deckel bedrohlich, um uns mit einem kleinen Ausblick auf die Zukunft zu erschrecken. Viele Iraker glauben, dass es einen neuen Diktator geben wird, einen „demokratisch gesinnten starken Mann“ (in den unheimlich klingenden Worten des amerikanischen Neokonservativen Daniel Pipes), der die Sicherheit bringen soll, die wir ihnen nicht gegeben haben.
Denn nach den Wahlen, wenn sie denn jemals stattfinden, werden wir mit der üblichen Selbstgerechtigkeit verkünden, dass uns keine Schuld mehr trifft, wenn im Irak etwas schief läuft. Wir haben die Iraker von Saddam befreit, werden wir sagen. Wir haben ihnen die „Demokratie“ gebracht – und seht euch an, was sie daraus gemacht haben.