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Wach auf!

Zottelfritz

Geheimer Meister
27. November 2002
430
"Wach auf!" hämmere ich mir tagtäglich als allgegenwärtiges Mantra, als Leitfaden und Rettungsanker, als imaginäre Silberschnur in den Kopf, "Wach auf!" Lass dich nicht einlullen von den trügerischen Reizüberflutungen unserer Zivilisation, den Irrlichtern der Konsumgesellschaft.
"Wach auf!"
Ein verzweifelter Versuch, den letzten Rest eines kindlich-unverfälschten Bewusstseins zu erhalten, eine unsichere Hoffnung, noch nicht alles verloren zu haben was die Segnungen der Welt wie wir sie kennen mir abverlangen möchte. Das "Wach auf!" ist eher ein undeutlicher Rest jenes Schwures den ich beim Übergang vom Kindes- zum Erwachsenen-Bewusstseins tat, und zwar dass ich nie vergessen möchte wie der erste Frühlingstag sich anfühlt, der Geruch des blühenden Weissdorns am Bach, die erste Ahnung der eigenen Bestimmung, die erste Liebe.
Das "Wach auf!" kann den Prozess des Vergessens nicht aufhalten, es ist eine bloße Absichtserklärung, nicht aufzugeben den naiven Kinderblick zu erhalten, dabei ist dies eine zum Scheitern verurteilte Konservierung, du schaffst nur eine Mumie, ein abstraktes, totes Abbild des Lebens.

Wie auf einem ewigen Trip, der dich zuerst mit seinen Farbenspielen entzückt und in angenehme Verwirrung versetzt, fühlt es sich an. Der Trip führt aber immer tiefer in den Kaninchenbau des Erwachsenseins, das bunte Licht wird blasser, bunt rotierende Mandalas aus Licht werden zu metallenen Laufrädern, in denen du immer die gleichen Runden drehst, als ein Hamster von Millionen. Nur damit die Glühbirne ihr Licht der Künstlichkeit noch schmerzhafter in all die toten Augen brennt. Und sie mit jeder Umdrehung blinder macht.

"Out of the blue, into the black"

Der Pilz, der Dich wie ein Riese fühlen ließ, machte dich in Wahrheit zum Zwerg, doch du merktest es nicht, du fühltest bloß den Zweifel an der Echtheit deines Lebens, fingst an, nach dem zu suchen was dich einst faszinierte und den Hunger aufs Leben weckte, die schalen Überreste dieses gesunden Hungers sind ein unstillbarer brennender Durst nach Echtheit und geistiges Sodbrennen von zuviel Ratio in der Suppe deiner versalzenen Seele. Tränen sind nicht umsonst salzig.

All das formte sich zu einem grauen Brei von Zweifeln und betrogenen Hoffnungen, es manifestierte sich in einem wilden Aufschrei, der mich seit einer Ewigkeit des dumpfen Dümpelns zum ersten Mal wieder das animalisch-lebendige Gefühl des Lebens weckte.
"Wach auf!", das beinhaltet keine Lösungen, keine Lebenskonzepte, keine Wegbeschreibung aus dem Dschungel, dem Kaninchenbau, aber es markiert die Richtung: Raus aus dem Dunkel, aus dem Schlaf des Vergessens, den alle die schlafen, denen ihre Kindheit wie ein fremder Traum erscheint, denen die echtesten ersten Erfahrungen wie dumme Kindereien erscheinen, die die wahren Erkenntnisse des Heranwachsens verraten und den magischen Duft des Weissdorns am Bach nicht mehr vom betäubend-chemischen Deo ihrer Kollegin unterscheiden können und das Gefühl der ersten Liebe nicht von dem müden, abgestumpften Reiz ihrer täglichen Routine-Onanie.

"Out of the black, into the blue"

Oh, gäbe es doch eine seelische Entsprechung der Ohrfeige, des kalten Wasserschwalls, der dich weckte aus den verlogenen, fiebrigen Dämmerschlaf des Erwachsenen-Bewusstseins. Vieles wird als solches angepriesen, der Psychedelik-Jünger will dir seine magischen Wunderdrogen als Weckmittel verkaufen, der religiöse Prediger seine Heilslehre, der Esoteriker seine ganzheitliche Bauanleitung und homöopatisch bis aufs Minimum verdünnten Lebenskonzepte. Viele gratis-Pröbchen davon habe ich versucht, keins war in der Lage, seine falsche Illusion des Erwachens lange aufrechtzuerhalten, sie unterlagen alle der gnadenlosen Vergänglichkeit, das Grau war immer stärker, das grau was wir alle Tag für Tag produzieren, es strömt aus uns heraus wie ein nebliger Atem, ein beissender Rauch, der das vernebelt worauf es ankommt, doch was war das noch gleich? Wovon sprachen wir gerade? Keine Ahnung, Egal. Tschüss und Grüß die Familie.

Schlaf gut.

...

NEIN, nicht wieder einschlafen,

"WACH AUF!"
Es gibt die wachen Momente, es gibt sie, die lebendigen Erinnerungen an unbeschwerte Tage, an verwunderte Kinderaugen, die sich erstmalig umschauten auf dem Planeten Erde. Es gab sie, die Premiere, die Erstvorstellung des Schauspiels deines Lebens, doch dein Film läuft schon in der X-ten Woche. Doch die Filmrolle beinhaltet nicht bei jeder Vorstellung die gleichen Bilder, sie verändern sich, es sind bekanntlich immer die Bilder, die man sehen MÖCHTE.

Es kommt wohl darauf an, das herauszufinden. Es zu kontrollieren, oder eben gerade nicht? Es einfach laufen zu lassen, das lange zurückgehaltene Urin der Verknotungen und Verwirrungen des Bewusstseins? Vielleicht entspannt sich dann die Blase namens Seele von ganz allein, vielleicht sind die Kanäle dann wieder rein, die Pforten der Wahrnehmung gereinigt und wir schauen wieder auf alles, wie es in Wahrheit beschaffen ist, unendlich wie der erste Frühlingstag, die erste Liebe...

Die Augen aus denen du heute schaust sind die selben wie die, die das Neonlicht der Kreiss-Saals-Deckenlampe erblickten, dein Arsch ist der Gleiche der den Klaps bekam, damit die Lungen, mit denen du heute noch atmest, deinen ersten Schrei schrieen, mit den selben Stimmbändern, die du heute zum Nachplappern falscher Wahrheiten benutzt. Es muss einen Weg geben, all das Echte, was in uns steckt, neu zu entdecken. Gekidnappte Körper und Seelen überall, die ganze Menschheit gekidnappt von Grauem Vergessen, der größte Coup aller Zeiten.

Stell Dir vor, es schlafen alle und keiner wacht auf.

Oder bin nur ich derjenige der schläft? Gibt es die Schlafkrankheit auch auf seelischer Ebene? Nennt man das dann vielleicht geisteskrank? Vielleicht sind ja alle anderen wach und ich will nicht wahrhaben dass ich der einzige Schläfer bin. Oder ich bin wach und die Realität sieht nunmal grau aus. Die bunten Bilder der Vergangenheit könnten bloße Verklärung der Erinnerung sein, ein Wunschbild einer heilen Vergangenheit, vielleicht hat es den Duft des Weissdorns am Bach nie gegeben, die erste Liebe vielleicht auch nicht? Übertreibt mein Bewusstsein die Schönheit der Vergangenheit, um etwas zu haben an das es sich klammern kann?

Stell Dir vor, du bist wach und hältst alles für einen Traum.

Vielleicht sind Gratis-Pröbchen einfach zuwenig, ich sollte das Komplett-Paket bestellen, das psychedelische 7-Stufen-Erkenntnis-Paket mit Gehirn-Weichspül-Garantie, die Religions-Allzweck-Office-Suite mit Psalmen für jede Lebenslage und täglichem Beicht-Reminder, die ganzheitliche Gesamtlösung für mein Leben inclusive Bachblüten mit Weissdorn-Duft und individueller Ayurveda-Mondphasen-Handlinien-Analyse.

Doch all das gibt es nicht umsonst, es kostet die Freiheit der Entscheidung, es kostet dich den Joker, das "Schönes-Wochenende-Ticket" läuft mit diesem Tag aus, ab dem Zeitpunkt hast du eine Nummer, bist eingebunden in Strukturen. Aber wache ich davon auf oder sind all das auch nur Abzweigungen im Kaninchenbau?

"Wo gehts denn nach oben bitte?"
"Oben? was ist das?"
"Na, da wo der Weissdorn am Bach duftet. Sie wissen schon, da wo die Sonne scheint und meine erste Liebe im hohen Gras auf mich wartet"
"Haha, sie wollen mich wohl verarschen! Die SONNE, die LIEBE! das sind doch nur Märchen aus Kindertagen"
"Ja, aus Kindertagen, genau das meinte ich. Ich will dorthin zurück!"
"Sie sind ein Träumer! Wachen sie endlich auf und zurück ins Laufrad!"

Aufwachen... ja, bloß wie?



PS. @mods: ich wusste nicht, ob Lyrik-Forum oder Philosophie, das möget ihr entscheiden.
 

Woppadaq

Großmeister-Architekt
2. August 2003
1.228
Zottelfritz - du redest wie ein Künstler !

Wach bloß nicht auf !

Wenn du nicht ins Laufrad willst - SEHR gut ! Die meisten Leute gehen nicht ins LAufrad, weil sie müssen, sondern weil es für sie das einfachste ist.

"Heaven is a place where nothing nothing ever happens " - es hat sehr lange gedauert, bis ich akzeptieren konnte, daß dieser Satz auf sehr viele Menschen zutrifft.....
 

Zottelfritz

Geheimer Meister
27. November 2002
430
Danke für den kommentar!

Allerdings stellt sich für mich hier eher die Frage, ob ich mich mit meinem herangewachsenen, rationalen Bewusstsein in einer "falschen" Realität befinde, aus der ich aufwachen sollte um zum "Urzustand" der kindlichen Naivität zurückzufinden oder ob ich mich in einem naiven realitätsfernen Träumer-Zustand befinde, aus dem ich aufwachen sollte um der wahren Realität ins Auge zu blicken. :-) Auch wenn mich dort das Laufrad erwartet.

Alles ganz schön kompliziert.
 

Woppadaq

Großmeister-Architekt
2. August 2003
1.228
Ich sag dir was:

Fürchte nichts mehr als den Zustand, der keine Zweifel und keine Irrtümer mehr erlaubt. Denn diese sind es, die dich antreiben.

Diese Welt ist hochgradig vernetzt - Der Apfel, den du ißt, ist mit der Zahncreme-Werbung und ihren Zahnfleischtest verbunden, aber auch mit den aus zig Lifestyle-Magazinen bekannten Tips zur gesunden Ernährung und damit wieder mit dem jugendlichen Gegenanspruch, sich bloß nicht gesund zu ernähren, weil das uncool ist.

Sei also froh, solange du den Apfel noch essen kannst, ohne dir was dabei zu denken.
 

Tyler-Durden

Geheimer Meister
28. April 2004
197
Der Beitrag hat mich irgendwie an Platons Höhlengleichnis erinnert. Dieses Höhlengleichnis stellt ein Bild aus zwei Teilen dar, unten sieht man einen Mann an eine Wand gekettet der den verdrehten Schatten einer Vase betrachtet. Verfolgt man das Bild etwas weiter hoch erkennt man einen Mann der versucht aus dieser Höhle zu klettern um nach oben ans Licht zu kommen. Ganz oben erkennt man einen weiteren Mann der sein "echtes" Spiegelbild auf der Wasseroberfläche betrachten kann, im Gegensatz zu dem Mann der angekettet ist und nur einen verdrehten Schatten betrachten kann.

Platons Höhlengleichnis gilt übrigens als ältestes Drehbuch der Welt indem es als Vorlage für den Film "Matrix" hergenommen wurde.

Aber jetzt zum eigentlichen Thema. Vielleicht ist es besser nicht aufzuwachen wenn man mal bedenkt das wir nur herangezogen wurden um in der Gesellschaft richtig zu funktionieren. Ich werde das Gefühl nicht los herangezüchtet worden zu sein, wenn ich mir nur ein paar Dinge vor Augen halte. Man wird eingeschult um dort zu lernen wie man einmal funktionieren soll. Dir wird Mathematik beigebracht, alles was man eben so braucht um einmal einen Job zu bekommen und Geld an den Staat abzugeben. Der Staat lässt dir nur so viel geld wie es nötig ist um neue Steuerzahler zu zeugen und zu unterhalten. Sogar wenn du eines tages vergraben wirst und jemanden etwas vererben willst,kommen sie an und wollen Erbschaftssteuer. Für mich ist das Leichenfledderei :roll:

Ich denke das die Menschen einmal fröhlicher und unbeschwerter waren bevor ihnen ein System und eine Weltanschauung verpasst wurde wie was zu sein hat.
 
W

Weinberg, Oliver

Gast
..interessante Gedanken, Zottelfritz!

Ich denke, die Menschheit muß sich seit jeher mit Ängsten beschäftigen,
die sich analog zur wachsenden Hirnkapazität immer feiner verästeln.
Der Wunsch, dass alles wieder gut wird, dass jemand kommt, der
alles wieder gut macht ist doch weitverbreitet.
Früher hatte man die Schamanen, die ihrem Stamm da hindurch
halfen.
In den aufstrebenden Kulturen übernahmen die Priester diesen
Dienst für die Völker, denen sie vorstanden.
Heute tun es im wesentlichen die Integratoren (die wahre Elite),
die sich der Interessensgruppen annehmen, Bedürfnisse in ihnen
zu wecken, Bedürfnisse in ihnen zu befriedigen..

Wenn Du Dir eine mehr kindliche Weltanschauung bewahren
willst, hilft es, den Kontakt zu Erwachsenen auf das gerade
noch erträgliche Maß zu reduzieren und erwachsenen Welt-
anschauungen keinen Resonnanzraum im inneren einzurichten
(wir kennen doch alle die immer gleichen Schlagworte wie
'Hilft ja nix!', 'Arbeiten muß jeder' etc...)

Nur weil wir sie erwachsener weise ignorieren oder zu rationalisieren
suchen, heißt dass trotzdem, das die Wunder der Welt allgegenwärtig
sind.
Glückliche Kinder, die sie auch als solche sehen wollen..
 

innerdatasun

Intendant der Gebäude
19. Juli 2002
842
Ich denke das die Menschen einmal fröhlicher und unbeschwerter waren bevor ihnen ein System und eine Weltanschauung verpasst wurde wie was zu sein hat.

Die neugierde und der drang zur erkenntnis ist ein vollkommen natürliches bedürfniss des menschen. Davor kan er sich nicht verstecken.
Und überhaupt wann soll diese unbeschwerte zeit gewesen sein ? Das muß vor der entdeckung des feuers gewesen sein.
 

Tyler-Durden

Geheimer Meister
28. April 2004
197
Die Chance auf eine unbeschwerte Zeit ist wohl schon lange vorbei. Wann das gewesen sein soll weiß ich nicht aber dieser Forschungsdrang wird uns immer unglücklicher machen, da bin ich mir sicher. Wir haben genug zu essen und trinken, neuste Technik und jede Menge Mist den wir nicht brauchen, aber sind trotzdem unzufrieden.
 

sillyLilly

graues WV- Urgestein
14. September 2002
3.269
Wir haben genug zu essen und trinken, neuste Technik und jede Menge Mist den wir nicht brauchen, aber sind trotzdem unzufrieden.

Ich finde der Satz von Wopadaq paßt da sehr gut.

Fürchte nichts mehr als den Zustand, der keine Zweifel und keine Irrtümer mehr erlaubt. Denn diese sind es, die dich antreiben.

Menschen sind wohl einfach so.
Den Zustand des Glücks suchend und sobald man ihn erreicht hat ... getrieben von der Suche nach mehr.
Die Freiheit die wir haben .... treibt uns ... man könnte fast sagen, sie sei die Kette an die wir uns legen und die uns immer weiterzieht.

Dieses Gefühl von dem schreibst, zottelfritz, das zeigt uns doch das wir leben. Es läßt uns fühlen. Die Widersprüche zwischen denen wir uns reiben zeigen uns wo unsere Grenzen sind.
Ich glaube man muss sich mehr Sorgen machen, wenn dieses inner Zerren und Ziehen verstummt.

Namaste
Lilly
 

morgenroth

Geheimer Sekretär
6. September 2003
685
@Zottelfritz:
Ich finde deinen Beitrag genauso schön wie ernüchternd. Ähnliche Gedanken, Sehnsüchte und Fragen machen sich auch breit in meiner Kapsel.

Nur mein Blickwinkel ist ein anderer: Viel zu lange habe ich mir einreden lassen, dass die Dinge, so wie ich sie sehe von einem infantilen Charakter zeugen.
Ich glaube nicht, dass Kinder über trügerrische Reizüberflutungen, die Zivilisation und die Konsumgesellschafft nachdenken. Ich glaube nicht, dass ein kritischer Blick auf die Dinge von einem kindlichen Charakter zeugt.
Das einzigste was Dir gemein ist mit diesen kindlich, romantischen Gedanken, ist der Abstand zur Norm.
 

morgenroth

Geheimer Sekretär
6. September 2003
685
Es ist der Blick in die Vergangenheit, der einem Ratio vrleiht. Es ist die Vergangenheit, die erst eine Beurteilung des Sachverhalts zulässt. Die Vergangenheit als Referrenzwert - sozusagen.
Das Erfahrene ist Entscheidungs-Grundlage für die Gegenwart - und die Gegenwart ist Vergangenheit bevor sie Zukunft war.
 

Tyler-Durden

Geheimer Meister
28. April 2004
197
Das Kind in sich selbst zu bewahren ist heute wohl so gut wie unmöglich. Es wird schon in der Schule jede Menge von einem verlangt, man muss wohl oder übel lernen selbstständig und erwachsen zu werden. Man muss sich diese Eigenschaft aneignen um zu zu funktionieren und auf einer verkorkste art und weise nützlich zu sein.

Mittlerweile gibt es schon Kindergärten die bilingual erziehen und damit wird die Zeit in denen Kinder unbeschwert in Pfützen rumhüpfen können wohl immer kürzer. Wenn sich jemand etwas kindliches behält oder wieder aneignet und dadurch naiv wirkt wird derjenige gleich als zurückgeblieben oder dämlich abgestempelt und das ist traurig weil es eigentlich nur beweist wieviel in unseren Köpfen herumgepfuscht wurde.
 

InsularMind

Geheimer Sekretär
9. Dezember 2003
644
Kenne ich schon irgendwie, diese Sehnsucht nach the euld silences sozusagen.
Ich teile das nur nicht so ganz gern Anderen mit, es gilt doch gleich als Zeichen von Verträumtheit und Besserweltwunsch, eher unbeliebt in unserer grau getünchten Zucht -Haus -Umgebung.
Interessant, dieser Vergleich mit dem Grau.
Die Erinnerungsbahnen werden zunehmend grauer, die zu solchem Seinsgefühl hin führen.
Man fühlt über die Jahre wie man sich davon entfernt, ob man aktiv geht oder sich nur mit Gewalt hinterdrein schleifen lässt, oder allmählich hinwegdämmert, irgendwo verkrochen weit weg von den Hamsterrad - Anlagen.
Das innere Kind stirbt den Hungertod, oder man schlägt es selbst tot, weil die Suggestionsgewalt des *FUNKTIONIERE!* gnadenlos ins Tägliche gehämmert wird, ohne Unterlass.
Man passt sich dem Strom der 'Bekehrten' an, wenn nicht aus freiem Willen dann aus Not, oder aus Hoffnung, so wenigstens mit getragen zu werden, wenigstens nicht gleich allein dazustehen.

Ob's das Wache ist, was man erst erlebt, und der Schlaf, den man übergestülpt bekommt, in den man hineinerzogen wird; ich denke man kann sich das nur individuell selbst beantworten, aber wer die Flamme freiwillig löscht, die Verbindung zu diesem Ort in der Erinnerung, oder sei es im Herzen; zuschließt und den Schlüssel wegwirft, ist selber Schuld.
Man kann gleichsam wach geblieben sein, und dem kühlen Licht der Dinge, das uns verlockender Glanz des Wahren erscheint, keine Folge leisten.
Man kann wählen -- trotz Alldem was man angeblich sollte, muss, zu erledigen hat um ein 'korrekter Hamster' zu werden -- sich nicht einschläfern lassen, indem man die Farben in sich am Leben erhält, und dem Kind einen Zufluchtsort beschert -- egal ob Andere dann sagen man leide an diesem und jenem Fehler.
Ist ja deren Fehler, wenn sie ihre Sicht für anerkannt halten.
Die Farben erhältst Du ja selber, der Ort an dem Du wach bist ist in Dir drin, und kein Mensch hat je das Recht, den Titel oder die Kompetenz darüber zu richten oder zu verfügen, dem Du keinen Zutritt gewährst.

Nur von der Gesellschaft wird das kaum Achtung erfahren. Wenn Dir das nichts bedeutet, was die Anderen machen oder denken, was zu sein hat oder 'korrekt' funktioniert, dann kannst Du frei bleiben. Aber wie Woppadag schon fast herdeutete, das Einfachste ist es nicht, unbeschwert wach zu sein.
Wach bleiben, indem man sich nie schlafen legen lässt.

Was verloren geht durch die Lasten des Grauen, ist der Zauber des unversehrten Erfahrens. Man kann nicht mehr unerfahren auf Zusammenhänge zugehen, denn beim Kind ist es oft diese Unerfahrung, die alles wundervoll, erstaunlich, geheimnisumwoben und toll macht.
Nichts ist doch mehr so genial wie das erste Mal allein beim Bach, das erste Mal Soloflug, das erste Mal, ein bestimmtes Buch zu lesen.
Mir ging's so mit einer Erinnerung an *Neewa das Bärenkind* von James Oliver Curwood -- als ich versuchte es im Erwachsenenalter wieder zu lesen war sein Zauber verstummt, denn die Reise durch die Geschichte wurde von mir bereits unternommen, ist nicht mehr unerfahren. Erinnerungsbilder konnten diese Stimmung nicht annähernd ersetzen.
Mit dem Erwachsenwerden füllt man diese Unversehrtheitsebene zunehmend mit Erfahrungen aus, und verbaut sich die Ungezwungenheit mit den Abwehrkanonen gegen das eigenständige Sein.
Man unterwirft sich dem Diktat des aufgeschwatzten Lebenssolls.
Wer nicht 'korrekt' ticken will ist raus.

Oder wird Künstler 8)

Ist es nicht bemerkenswert, dass Menschen, die aus unseren Verhältnissen her betrachtet nicht viel mehr haben als ihre paar Fetzen am Leib oft sehr unbeschwert, gar fröhlich - glücklich leben ?
Scheint das nur so, weil sie sich nicht beklagen?
Die haben oft 5 Mal so viel Krankheiten, Katastrophen und Todesfälle zu beklagen wie wir, die haben kaum Technik und kaum Alternativen.
Aber sie haben sich auch nie grau anmalen lassen.


Dein Text liest sich wie das Bild einer Blume, die durch zentimeterdicken, hartgewalzten Asphalt bricht. Bewahr Dir diese Kraft der Farben. Dann schläfst Du auch nie ein.
 

annihilator

Großmeister
25. April 2003
93
Da kann ich nur "Der seltene Vogel" von Jostein Gaarder empfehlen, dort wird in mehreren Kurgeschichten dieses "Wach auf!" behandelt. Während des Lesen glaubt man wirklich (ich auf jeden Fall) kurzzeitig aufzuwachen.
 

Chiisai

Geselle
5. August 2004
15
es ist schwer kind zu bleiben in dieser heutigen zeit. ich sehe mir in meinem alter noch gern animes an und lese mangas... was soll!!
und das einzige was die anderen sagen ist ... " was in deinem alter?! werd erwachsen!!"
aber das will ich garnicht. klar man muss sehen wo man bleibt, aber man wird doch wohl noch träumen dürfen... oder ist das verboten?
und wenn ... wo steht das geschrieben??
kann es denn wirklich so falsch sein mal das kind in sich zu wecken, mal richtig zu lachen und die welt zu sehen wie sie ist... in all ihren farben und formen... all ihren tieren und pflanzen...?!
türlich technik ist etwas was uns fehlt wenn es nicht da ist aber sie macht uns auch kaputt. die versucht probleme zu lösen die wir ohne sie nicht gehabt hätten!
und vor allem... wieso müssen menschen immer alles erklären wollen... warum müssen sie all den zauber zerstören... was soll das ... was bringt das??
ist es denn wichtig zu wissen ob nessi oder der yeti wirklich sind?


mfg
chiisai
 

Tetsuo

Geheimer Sekretär
9. Juli 2003
649
Hey Zottelfritz echt guter Text!
Wie kann man nur sowas geniales schreiben? Hammer!

Es ist wirklich voll schade...
Als Kind sieht man alles irgendwie in Farbe und wenn man älter wird ist alles nur noch schwarz/weiss.
Ich hab eh im Moment das Gefühl das mein Geist eine richtige Vergiftung hat von der Werbung und dem ganzen Hirnwäsche TV...
Am liebsten würde ich in die Wildniss gehn ohne alles und meinen Geist/Verstannd retten...

EDIT: Also das Gefühl ist irgendwie so das alle Reize überflutet sind und man eine herabgesetzte Wahrnehmung hat.
 

shadow

Geselle
5. Januar 2003
16
Ja solange Kind bleiben wie es geht. Ich bin erst 17 und fühle mich schon viel zu erwachsen. Die Tage haben viel zu wenig Zeit und ich gehe nicht mal arbeiten. Und ich fürchte mein Tagesablauf ist viel zu monoton! Mein Vater ist Förster und ich bin mit dem Wald, der Natur aufgewachsen. Seid der Scheidung wohne ich in einer Stadt und mittlerweile habe ich mich der
Umgebung angepasst. Aber glücklich bin ich damit nicht. Ich liebe die Freiheit die frische Luft und das unbeschreibliche Gefühl das mich durchströmte wenn ich damals nach der Schule in den Wald gelaufen bin um Hütten zu bauen die sich kaum von büschen und Bäumen unterscheiden...
Heute freue ich mich schon über das Gefühl wenn ich Angst bekomme, klingt ironisch ist aber so. Das Gefühl kenn ich von früher von weit aus
bunteren Tagen....


Zottel darf ich mir das auf die Platte ziehn? (:
 

Centauri

Geheimer Sekretär
30. Juli 2004
691
Wach auf ?

Das erinnert mich irgendwie so an den Wachturm , Zeugen jehovas , da steht doch auch immer ständig wach auf ?
Bist du Zeuge jehova ?
Irgedwie komisch .
 

Ellinor

Geselle
17. August 2004
10
.
Zottelfritz schrieb:
Aufwachen... ja, bloß wie?


Salut :)


Zuersteinmal , deine Reflexion gefaellt mir sehr gut und ich habe sie mit grossem Interesse gelesen.

Die Antwort auf die obige Frage ,hast du dir schon selbst gegeben.

"Na da wo der Weissdorn am Bach duftet.Wo die Sonne scheint.

Ein Kind fragt sich nicht ob es wach ist oder schlaeft.
Wenn es wach ist folgt es im grossen und ganzen seinem Impuls.
Soweit ihm das in seinem Freiraum moeglich ist .
Wenn es auf Physischer Ebene geht ,ok, und wenn nicht gehts halt in der Phantasie. Aber es geht. :)

Ellinor





PS. @mods: ich wusste nicht, ob Lyrik-Forum oder Philosophie, das möget ihr entscheiden.
 

Zerch

Prinz des Tabernakels
10. April 2002
3.859
bin wie die anderen ebenso angetan von deinem text - ein wunderbares kunstwerk.

hier ein text einer untergegangenen hippieband für dich (aber deins ist besser)

wrinkle drawer

The years are painting
on your faces
strange and ugly masks
wrinkle drawer
throw your palette
please forget the past.

Break the mirror
grow the flowers
of your childhood time.

Little children
in the garden
don't care about time.

Baby baby
I'm your daddy
and i'm still a child
 

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