Giacomo_S
Prinz der Gnade
- 13. August 2003
- 4.327
Moppel schrieb:Und die (von Scientology gerne zitierten) Elektroschocks gibt es in der Form nicht mehr – und schon gar nicht als Bestrafungsmaßnahme!
Das stimmt so nicht ganz.
Bei uns gibt es keine Elektroschocks mehr. Meiner Vermutung nach vor allem deshalb nicht, weil man sich nicht mehr in die Nähe der medizinischen Experimente der Nazis rücken möchte.
In den USA hat man da weniger ideologische Bauchschmerzen.
Moppel schrieb:Das ist eine ganz, ganz schwierige Frage (wo ich letztendlich auch häufig mit meiner Oberärztin diskutieren muss ). Natürlich können wir Psychiater uns nicht anmaßen zu entscheiden, der spinnt und der nicht, der gehört behandelt, der nicht. Die allermeisten Patienten (also bei uns sicherlich 70-80%) begeben sich ja freiwillig in die Klinik, weil sie merken, es geht nicht mehr. Schwierig wird’s dann bei denen, die keinerlei Krankheitseinsicht haben und auch keinerlei Behandlungsbereitschaft. Da kann ich aber auch nicht jeden einsperren, der ein bissl „komisch“ ist. Ich denke, entscheidend ist hierbei zum einen, wie sehr der Patient darunter leidet (wenn er z.B. furchtbar gequält wird von seinen Halluzinationen und daraus selbstmordgefährdet wird) und wie stark die Umwelt darunter leidet. Wenn z.B. ein Wahnkranker ´jetzt mit dem Messer auf seine Nachbarn losgeht, weil er sie in seinem Wahn als des Teufels Diener oder die Mafia oder sonst was verkennt, dann kann man das nicht so lassen.Rosskeule schrieb:Letztlich - wo ist die Grenze? Da, wo der Mensch selbst entschieden hat, dass es besser ist, sich helfen zu lassen? Ich meine, wer ist schon vollkommen richtig im Oberstübchen und wer legt das fest?
Aber grundsätzlich hast du recht, es ist auch in der Praxis oftmals nicht so einfach die manifeste Krankheit von „komischen Eigenheiten“ (na, der is halt so) zu trennen. Schwierig, können wir aber gerne noch mal ausführlicher drüber diskutieren.
Das Rosenhan Experiment - bitte hier lesen ist vielleicht nicht mehr ganz neu und vielleicht auch nicht wirklich wissenschaftlich, aber zeigt, wie schwierig das ist.
Und es geht auch umgekehrt: Der - später als psychiatrisch angesehene - Fall des Postboten und Hochstaplers Dieter Postel, der 1,5 Jahre in einer psychiatrischen Klinik als Oberarzt agierte, zeigt, daß es sogar für einen Chefarzt nicht immer einfach ist, Sein und Schein zu unterscheiden.
Und bei Zwangseinweisungen - und sage nicht, die gäb es nicht - sind die Menschenrechte und das Grundgesetz weitgehend ausgehebelt.
Jeder Kriminelle hat da mehr Rechte. Es gibt keine Pflicht zur Beweisführung, es gibt keinen Verteidiger usw.: Die Aussage evt. nur eines Familienangehörigen oder Ehepartners reicht. Eine Überprüfung der Aussagen findet nicht statt.
Man wird einem Richter vorgeführt, ja. Aber wird der Richter anders entscheiden, als der Psychiater ? Wohl kaum.
Wozu dann also noch so eine Schmierenkommödie ? Im Prinzip entscheidet das doch sowieso der Arzt. Aber das gesellschaftliche Gewissen will ja beruhigt sein...
Folgerichtig wird es auch einfacher, wenn schon einmal jemand in der Psychiatrie zwangseingewiesen war. Der "Patient" hat seinen Stempel weg und jede Handlung kann auch gegen ihn ausgelegt werden. Und auch das passiert.
Geradezu absurd lesen sich manche Texte der Berichte. Eine Freundin von mir war zwangseingewiesen, bei manchen der Vorfälle war ich dabei.
Da wird dann plötzlich aus einem heruntergefallenen Glas "zerschlägt Gläser" und aus einem kleinen Fleck an der Wand "beschmiert Wände".
Es ist schon erstaunlich, wie viele der Aussagen von Zeugen ziemlich übertrieben oder aufgebauscht sind: Es scheint irgendein kollektiver Reiz darin zu liegen, das viele sich in der "Verrücktheit" sonnen um damit sich und anderen zu demonstrieren wie stinknormal (oder soll ich sagen: spießig) sie doch sind.
Einmal wieder entlassen, ist das Leben des "Patienten" keinesfalls mehr dasselbe wie zuvor. Meiner Freundin wurde (wg. einer Manie) - und das ist ein automatischer Vorgang - mit sofortiger Wirkung der Führerschein entzogen. Eine verkehrsrelevate Auffälligkeit, oder gar ein Verstoss lagen übrigens nicht vor: Kein Alkohol, kein Unfall, keine Geschwindigkeitsübertretung, keine Schramme - nichts.
Wer den Führerschein wieder haben will, muß ein psychiatrisches Gutachten vorlegen. Und selbst bezahlen: 300 EUR. Jedes Jahr neu.
Man möchte jetzt sagen, das sei richtig, schließlich läge eine Gefährdung vor. Mit den Grundrechten finde ich das trotzdem nicht vereinbar.
Das wäre genauso, als wenn mich jemand beim Saufen sieht und mir prophylaktisch den Führerschein entzieht, weil ich könnte ja besoffen fahren.
Möchtest Du Dich von Deinem Partner trennen und lernst einen anderen kennen, dann ist der neue Partner natürlich das "Symptom".
Psychisch Kranke trennen sich von ihren Partnern, so steht's ja in den Fachbüchern. Wie kann's denn auch ander sein.
Ist auch dann später egal, wie lange es den "neuen" Partner dann schon gibt. Der ist auch nach 2 Jahren dann noch "das Symptom".
Ganz wild wird's dann, wenn Kinder im Spiel sind. Einer Mutter kann man in Deutschland das Sorgerecht fast nicht entziehen. Einer "psychisch kranken" Mutter schon, das ist eher sogar der Regelfall.
"Es wird immer zum Wohl des Kindes entschieden", so sagt man dann gern. Wie das aber im konkreten Fall wirklich aussieht, das "Wohl des Kindes" interessiert niemanden. Da kommt dann keiner gucken, wie's Du mit Deinem Kind denn umgehst.
Das führt dann oft dazu, daß nicht nur den "Patienten" sondern auch deren Partnern durch die äußeren Umstände eine bürgerliche Fassade aufgezwängt wird, nach der sie dann zu leben haben.
Und solange sie nach außen dann als junges Ehepaar herumlaufen, lässt man sie in Ruhe. Ob sie sich aber intern nichts mehr zu sagen haben und nicht mehr miteinander schlafen - das ist dann egal.
Wenn sie anders handeln, drohen Sanktionen: Eine Trennung ist ein wichtiges "Symptom" genauso wie eine durchgemachte Nacht. Den Patienten sperren sie jedenfalls dann erst mal wieder ein.
Psychopharmaka sind ein weitgefasster Begriff. Sicher: Gerade neue Psychopharmaka haben nicht mehr solche "Neben"wirkungen wie Haldol.
Und das ist sicher gut, denn wer einemal so einen Haldol-Zombie gesehen hat, weiß, was ich meine.
Auf jeden Fall wird aber mit patentgeschützten Psychopharmaka Geld verdient und zwar viel Geld. Zyprexa z.B., ein Psychopharmakum des amerikanischen Arzneimittelherstellers Eli Lilly belegt immerhin den 5. Platz der umsatzstärksten Medikamente - weltweit !
Das muß einen auch nicht Wunder nehmen, denn eine Monatspackung kostet 250,- EUR und ist die Grundlage einer langjährigen, oft lebenslangen Therapie.
Alles gute Gründe für ein profitorientiertes Unternehmen, immer neue Hinweise zu finden, wann jemand psychisch krank ist und folgerichtig nehmen psychische Krankheiten überall in der westlichen Welt rasant zu.
Sind Erklärungen notwendig, so ist das dann mit "das hat man früher nicht erkannt" dann auch schnell abgegessen.
Ursachenforschung dagegen ist eher selten zu finden. Es wird so viel Geld an der symptomatischen Behandlung verdient, daß man das sogar eher von Seiten der Pharmaindustrie blockiert.
Es gibt eine ganze Reihe ernstzunehmender Erkenntnisse, die belegen, daß die Schrizophrenie und die bipolare Störung auf einer Virusinfektion beruhen scheinen (Borna Virus, Robert-Koch-Institut, Virologie der FU Berlin) und die Forscher haben auch Medikament dagegen, das Amantadin. Dessen Patente sind allerding schon längst abgelaufen, daran kann dann die Pharma-Industrie nichts mehr verdienen. Und schon gar nicht, wenn die Therapie dann nach ein paar Wochen vorbei ist.
Die psychiatrische Zunft übrigens auch nicht. Ein Bipolarer darf ständig zum Psychiater laufen, dauernd werden Bluttests gemacht, er muß ja "eingestellt" bleiben. Man stelle sich vor, die könnte man alle heilen ?
Das wäre ja entsätzlich, da ist ja meine Praxis leer auf einmal.