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Obdachlosigkeit - Wie man von der "Platte" kommt.

Sisgards

Gesperrter Benutzer
2. Juni 2010
1.178
AW: Obdachlosigkeit - Wie man von der "Platte" kommt.

Sicherlich nicht die Obdachlosen , vorallem wenn diese mit der Kirche nichts am Hut haben :kerze:

Ein städtisches Problem , wo man die Menschen immer von A nach B oft schickt.
Und diese sich oft nicht zuständig fühlen.
Sondern sich halt sagen , ist nicht mein Problem , soll es ein anderer lösen.

Diese Angebote sind aber oft zerstreut und hier auch wieder das Problem,
wenn diesen Menschen vielleicht dieser Weg schon schwer gefallen ist.
Wie schwer fällt ihnen dann der nächste Schritt , wenn der eine schon zuviel vielleicht war.

LG
Sis

 

reign6of6e6terror

Geheimer Meister
6. Oktober 2011
123
AW: Obdachlosigkeit - Wie man von der "Platte" kommt.

Als ich Montag durch die Innenstadt ging, saßen auf einer Bank drei Obdachlose, vor sich einige der obligatorischen Bierflaschen und ein Sammelhütchen. Einer von ihnen stand auf,folgte mir in größerem Abstand und fragte mich nach Kleingeld. Da ich in Hamburg oft angeschnorrt werde,habe ich erstmal abgewiegelt. Der Mann liess aber nicht locker und fing an mich eindringlich zu bitten. - Ok. ,dachte ich, du kannst ihm ja wenigstens ein paar Zigaretten anbieten, bist ja kein Unmenschlich. Ich drehte mich um und gab ihm meine Restpackung Luckys. - Er bedankte sich, fing dann aber sofort an zu weinen und hielt meine Hand fest. ,während er mir in gebrochenem Deutsch erzählte das er aus Polen käme, hier (angeblich) auf einer Baustelle arbeite, aber schon tagelang nicht geschlafen hätte, da er keinen Schlafplatz hätte. - Er weinte und sah unglaublich verzweifelt aus. Der Anblick hat mich.wirklich gefesselt. Ich habe ihn dann auch die ganze Zeit 'angestarrt ',konnte meinen Blick gar nicht abwenden. Und der Mann war attraktiv, nicht wie man sich einen typischen Penner vorstellt. Er hatte ein sehr schönes Gesicht ! - Da ich nicht wirklich wusste wie ich ihm weiterhelfen könnte, habe ich ihm dann mit ziemlich schlechtem Gewissen doch noch mein letztes Kleingeld gegeben und mich dann verabschiedet um meinen Einkauf fortzusetzen. Er hat sich ganz leise bedankt. - Ich habe dann im Kaufhof mindestens die Hälfte der Dinge vergessen die ich eigentlich mitnehmen wollte und noch im Laden über mein Handyinternet einige Adressen von Übernachtungsmöglichkeiten für Obdachlose, Aus - + Übersiedler herausnotiert, aber als ich aus dem Geschäft herauskam wären die Männer schon wieder weg. - Ich.habe hinterher noch lange darüber nachgegrübelt ob der Mann - wohlwissend wie zumindest ein Teil der Menschen auf ein bestimmtes Verhalten reagiert - eine Inszenierung abgezogen hat. Ich will es ihm nicht unterstellen, aber man liest manchmal von osteuropäischen Banden die sich mit allen möglichen Tricks Zugang zu Wohnungen verschaffen um dann die Bewohner auszurauben! ?
 

Ehemaliger_User

Beatus ille, qui procul negotiis.
10. April 2002
29.057
AW: Obdachlosigkeit - Wie man von der "Platte" kommt.

Mir ist ein Fall bekannt, den ich hier aufschreiben möchte.

Ein Mann Mitte 50. Er hat Zwänge, sogenannte Zwangshandlungen die ihm ein normales Leben nicht ermöglichen.
Wenn er z. B. eine Tür öffnet, so muss er vorerst warten, bis sein Kopf es zulässt. Nach ca. drei Minuten kann er die Tür dann endlich öffnen, nun kommt aber der weitere Schritt, er muss durch die Türöffnung hindurch gehen, was sein Zwang ihm verbietet. Es dauert ca. einige Sekunden, dann kann er hindurch gehen.
Aber nicht wie wir, ganz einfach Schritt für Schritt, sondern er macht einen Bogen um den normalen Durchgang, quasi muss er fast springen um durch die Tür zu gelangen.
Nicht nur das, alles was er anfasst ist mit Zwang verbunden, ein Stück Brot und Butter darauf streichen, geht nicht so einfach. Sein Zwang verbietet ihm dies.
So kann er auch keinen Spaziergang machen, er dreht sich alle paar Sekunden um, dreht noch einmal um, läuft den gleichen Weg noch einmal u. s. w.

Nun, dieser Mann ist sehr intelligent, wenn er bestimmte Tabletten bekommt, dann kann er diese Zwangshandlungen beinahe vergessen. Das Problem bei den Tabletten ist, sie machen abhängig und irgendwann muss die Dosis erhöht werden. Somit nimmt er diese Tabletten nicht mehr ein, die Gefahr der Abhängigkeit und der Überdosierung irgendwann sind ihm zu gefährlich.
Er hat eine eigene Firma gehabt, ist durch die deutschen Lande gefahren, aufgrund seines Berufes, nun kann er all dies nicht mehr.
Sein Auto hat er verkauft, fahren geht unmöglich. Nun wohnt er in einer Pension, doch das Geld wird nicht mehr lange reichen, was er sich beiseite gelegt hat.
Damit zu rechnen, dass er Arbeitslosengeld bekommt, weiß ich nicht.
Nun, wenn er diese Zwangshandlungen nicht in den Griff bekommt, was steht ihm bevor?
Wenn ich hier lese, so müsste man doch davon ausgehen, dass ihm geholfen wird, damit er nicht auf der Strasse landet, oder? Nun, es liegt sicherlich in der Hand des Menschen, ob er sich Hilfe holt oder sie annimmt, wenn sie angeboten wird. Aber was ich besonders bedenklich finde ist, wie sehr diese Zwänge oder Zwangshandlungen den Menschen auffressen. Es kostet ihnen sehr viel Kraft den Tag zu durchstehen, die Handlungen kosten erheblich viel Energie.

Es gibt viele Männer mit Zwangshandlungen, es werden immer mehr ist mir aufgefallen. Den Zwang alles zu kontrollieren zum Beispiel ist bei vielen Zwangspatienten der Fall. Auch psychologische Betreuung ist hier sehr schwer. Man versucht den Patienten bei zu bringen, den Zwang zu unterdrücken. Es werden zuerst fünf Minuten angesetzt, dann zehn und so weiter. Aber der Zwang lässt sich damit nicht beheben. Auch Tabletten sind keine Lösung.
Für viele Männer ist dies ein sehr großes Problem wenn sie arbeiten und alle paar Minuten ein Zwang sich einstellt. Sie gehen teilweise durch die Hölle.
Wenn sich eine neue Situation ergibt, wo der Patient sich darauf einstellen muss, dann wird der Zwang zuerst wieder stärker, es ist ein ständiges Auf und Ab.

Manche haben den Zwang sich alle paar Minuten die HÄnde zu waschen und am schlimmsten sind die Patienten dran, wo der inner Zwang anfängt mit ihnen zu reden. Es werden Stimmen gehört, die verbieten darüber zu sprechen. So sitzt der Patient zwischen zwei Stühlen, zum Einen möchte er sehr gern den Zwang los werden, zum Anderen darf er aber mit dem Psychotherapeuten nicht darüber reden. Solche Menschen sind teilweise nie mehr fähig ein geregeltes Arbeitsleben nachzugehen.

Sie kommen unter Umständen in ein betreutes Heim oder andere Häuser.
Es kann soweit gehen, dass sie diese Hilfe nicht annehmen und lieber auf der Straße herum irren. Ohne Obhut kommen sie gar nicht zurecht, weil sie mit niemanden mehr reden dürfen, weil die innere Stimme es ihnen verbietet. Ein Kreislauf der unendlich scheint.

Venatrix
 

goj

Geheimer Meister
21. April 2011
126
AW: Obdachlosigkeit - Wie man von der "Platte" kommt.

Moin moin,
zu der Welt in der ICH lebe gibt es Parallel-Welten, zu denen ich nur beschränkt Zugang habe. Z.B. die Welt der Phaeton-Fahrer mit Zweit- und Drittwohnung, die Welt der Deutsch-Türken, ich kenne kaum strenggläubige Christen, je nach Definition eben ein viele-Welten-Universum (der Scherz sei mir erlaubt). Zur Welt der Penner, Berber oder Obdachlosen habe ich über die Jahre immer wieder Kontakte gehabt und meine deshalb sagen zu können, daß die Leute sich in IHREM Kosmos eingerichtet haben und sicher bewegen in einer Weise die uns "Normalos" nicht möglich erscheint. Der Berber (die Berberin) weiß in jeder Stadt im Umkreis das Sozi und die Notschlafstelle zu finden, wenn nicht, weiß er wo er die Info kriegt. Platten (wilde Schlafstellen) werden unter Freunden weitergegeben, wer dieses elementare Vertrauen mißbraucht hat definitiv versch'''ssen. Weil Rechte oder auch Missetaten eben nicht bei Polizei oder vor Gericht einklagbar sind muß die Eigenjustiz (ich weiss kein besseres Wort) um so konsequenter sein. Anfangs habe ich angeboten bei der Wohnungssuche zu helfen. "Nö, da muß ich auf dem Wohnamt kratzen und das nüchtern. Vielleicht im Herbst. Mal sehen...". Angeboten, im Winter bei 5°- bei mir zu schlafen. "Nö, hab ne gute Platte, aber Duschen vielleicht?".
Versteht mich nicht falsch, ich rede hier keine Berber-Romantik herbei, dazu kenne ich die Schattenseiten zu gut. Es scheint nur so zu sein, daß der Phaeton-Fahrer sich eben nicht vorstellen kann wie man ohne Wochenendhaus in der Schweiz leben kann, die Kinder müssen doch auf's Internat und meine Frau soll auf ihre Werniesasche verzichten...?

Some things are irrelevant...

goj
 

Ehemaliger_User

Beatus ille, qui procul negotiis.
10. April 2002
29.057
AW: Obdachlosigkeit - Wie man von der "Platte" kommt.

Vor ein paar Jahren hatte ich eine Begegnung, die ich nicht vergessen werde.
Es war an einem Wochentag spätabends.
Ich kam von einer geschäftlichen Veranstaltung und musste am Hauptbahnhof lange auf die nächste Bahn warten. Es waren kaum Leute unterwegs. Ich saß herum und beobachtete, versuchte herauszufinden, wer wohl aus welchem Grund unterwegs sein könnte.

Da kam ein Bettler die Treppe herab.
Am Bahnhof wird man jeden Tag angebettelt.
Entweder mit der Geschichte vom fehlenden Kleingeld für eine wichtige Fahrkarte
oder im Highspeedverfahren von Süchtigen auf der Suche nach ein paar Cent.

Das hier war ein älterer Mann mit Rauschebart in verschlissenen Klamotten.
Was ihn auffällig machte, war das nasse Haar und der gekämmte Bart.
Bei näherer Betrachtung fiel mir auf, dass er anscheinend seine ganzen Klamotten
irgendwie gewaschen und gebürstet hatte und noch feucht wieder angezogen.
Er machte den Eindruck, dass es ihm sehr wichtig sei, so sauber und normal wie möglich auszusehen.

Er näherte sich der ersten Person und blieb ungefähr drei Meter hinter ihr stehen.
Seine Lippen bewegten sich, aber es war nichts zu hören. Die Frau stand mit dem rücken zu ihm. Sie bemerkte ihn wahrscheinlich gar nicht. Nach einer Minute wandte er sich der nächsten Person zu. Ein junger Mann, der nur einmal mit der hHand wedeln musste und schon zog der Bettler weiter.

Ich beobachtete ihn noch bei weiteren fünf Personen. Er versuchte zu betteln.
Offensichtlich konnte er es nicht.
Als er zu mir kam, strengte ich mich an, aber sein Gemurmel war wirklich nicht zu verstehen.
Ich zeigte auf den Platz neben mir und machte eine Geste.
Folgsam setzte er sich.
„Sie sind kein Bettler, nicht wahr?“
Stilles Kopfschütteln.
„Sie leben auf der Straße?“
Stilles Nicken.
Ich habe eine Minute überlegt, ob ich die nächste Frage stellen sollte, aber mir fiel nichts besseres ein.
„Wofür brauchen sie das Geld?“

Ohne mich anzuschauen, erzählte er, dass er jemanden aus seinem Heimatort getroffen habe und der hat ihm von seiner kranken Schwester erzählt. Er hat ein paar Tage gebraucht, um seinen Mut zu sammeln. Dann hat er angerufen.
Seine Schwester hat ihn gebeten, zu kommen.
Während er erzählte, rollten die Tränen.
Und er kramte in seinen Hosentaschen und holte Geld hervor.
Er hatte den ganzen langen Tag versucht zu betteln und hatte dank seiner Unfähigkeit gerade mal 6,20 € zusammenbekommen.
Und die Fahrkarte kostete 26,40 €.

An dieser Stelle wurde mir etwas flau. Denn eine Fahrkarte in meinen Heimatort hätte damals genau diese Summe gekostet. Ich fragte nach dem Namen seiner Schwester.
Und natürlich kannte ich die alte Dame, die immer eine Kerze für ihren Bruder im Fenster hatte. Im Dorf hielten sie alle für ein klein bisschen verrückt, denn schließlich war ihr Bruder schon seit ewigen Zeiten verschwunden.

Ich sagte ihm nichts davon.
Ich kaufte ihm die Fahrkarte und brachte ihn zum Zug.
Von Bekannten aus der Heimat erfuhr ich später, dass er bis zu ihrem Tod bei seiner Schwester geblieben
und anschließend wieder verschwunden ist.
 

Ehemaliger_User

Beatus ille, qui procul negotiis.
10. April 2002
29.057
AW: Obdachlosigkeit - Wie man von der "Platte" kommt.

Eine wundervolle, dennoch traurige Geschichte, die das Leben schreibt.

Danke Al,

Vena

Meine Eltern waren Zeugen Jehovas und fuhren ein bis zweimal im Jahr zu Kongressen, wo alle Zeugen aus ganz Deutschland und aus dem Ausland zusammen treffen.
In der freien Zeit, wenn kein Vortrag oder eine Vorführung war, standen meine Eltern am Straßenrand mit dem Wachturm oder Erwachtet Zeitschriften.
Ich musste natürlich mit, wo sollte ich bleiben. Mein Alter war ungefähr 8 Jahre.
Mir wurde langweilig und ich spielte auf den Pflastersteinen das Hüpfspiel, welches wohl jeder aus seinen Kindertagen bekannt ist.
Etwas entfernt von meinen Eltern die Zeitschriften in der Hand hielten, lag ein Mann auf den Pflastersteinen.
Schon immer war ich neugierig und lief ein Stückchen auf ihn zu, sagte: "Warum schläfst du da? Geh doch nach Haus!"
Der Mann hob seinen Kopf, setzte sich in den Schneidersitz und sagte: "Mein Haus ist hier!"
Und ich sagte: "Wo denn?!"
Und er hob seinen Hut, zeigte auf seinen Schädel, klopfte einmal darauf und sagte: "Dies ist mein Dach!"

Er war nett und ich hätte mich am liebsten neben ihn gesetzt, ich denke, er wusste bestimmt viel zu erzählen.
Leid tat er mir nicht, er war so überzeugend, dass ich ihn anlächelte und ganz beruhigt wieder zurück zu meinen Eltern ging.

Venatrix
 
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