sehr treffende analyse zum thema:
Der Präsident tat so, als sei es nur ein kleiner technischer Defekt. Dabei rührt der Stromausfall in den USA an den Kern seiner Idee von Amerika
George W. Bush hat eine Lieblingspose. Es ist die des kernigen, angriffslustigen Führers. Dann reckt er das Kinn vor, die Augen werden schmaler und dieses irritierende Lächeln zuckt um den Mund. Er sagt dann Dinge wie: "Die räuchern wir aus!" oder: "Wir schlagen ihm die Waffen aus der Hand!" Dann ist klar, es geht gegen das Böse auf der Welt, gegen Osama Bin Laden, gegen Saddam Hussein, gegen die Feinde Amerikas, seiner Werte und seines Lebensstils. Als Ende vergangener Woche fast 50 Millionen Amerikaner einer entscheidenden Grundlage dieses Lebensstils - der Elektrizität - beraubt waren, erschien jedoch ein anderer Präsident auf den Fernsehschirmen.
Großartig war zwar die Kulisse, der Gipfel des Boney Mountain in den Bergen vor Santa Monica. Doch den Amerikanern präsentierte sich ein leicht verschwitzter George W. Bush im Freizeithemd, der sich dem größten Stromausfall in der Geschichte der USA fast beiläufig und nicht sonderlich engagiert zuwandte. "Wir müssen überprüfen, was falsch gelaufen ist, das Problem analysieren und eine Lösung finden", sagte der Präsident. Er sprach, als gehe es um einen kleineren technischen Defekt und nicht um den zeitweiligen Zusammenbruch wesentlicher Teile des Nervensystems der USA, der einzigen verbliebenen Supermacht, wie es doch immer wieder heißt. Eines Landes, dessen Regierung die Bevölkerung seit dem 11. September 2001 in ständiger Angst vor terroristischen Anschlägen hält. Die damit weit reichende Eingriffe in Bürgerrechte rechtfertigt. Und die nun zusehen musste, wie die Verwundbarkeit des Landes an einer entscheidenden Stelle aller Welt und natürlich auch interessierten Kreisen des internationalen Terrorismus demonstriert wurde.
Das erklärt die leisen Töne des Präsidenten. Kein fremder Feind war für dieses Desaster verantwortlich zu machen. Nicht einmal der Versuch, dem befreundeten Kanada den schwarzen Peter zuzuschieben, hatte Erfolg. Nein, diese Alltagskatastrophe war hausgemacht. Und schlimmer noch: Ihre Ursachen rühren an den Kern des amerikanischen Wirtschaftssystems und der Ideologie der herrschenden republikanischen Partei des Präsidenten: Es ist der unbedingte Glaube an die Privatisierung aller Infrastruktur und an die Kräfte des Marktes.
In den 90er-Jahren sind in den USA weite Bereiche des Strommarkts dereguliert worden. Private Konzerne übernahmen die Kraftwerke, nicht aber die schon damals völlig veralteten und überlasteten Leitungen. Weniger rentable Kraftwerke wurden geschlossen, so dass bei steigender Nachfrage das Angebot immer knapper wurde. Dringend erforderliche Investitionen in moderne Kraftwerke, Transformatoren und Leitungen unterblieben, weil höhere Strompreise zu ihrer Finanzierung in den USA angeblich politisch nicht durchsetzbar sind. Nun reicht ein einziger Kurzschluss oder ein Blitzeinschlag, um einen Zusammenbruch ungeahnten Ausmaßes auszulösen. Entgegen den Worten des Präsidenten ist also durchaus bekannt, was falsch gelaufen ist. Auch die Lösungen sind bekannt: Investitionen in die Infrastruktur, Programme für sparsameren Stromverbrauch und höhere Strompreise.
Doch niedrige Energiepreise gehören zum American Way of Life, der kaum eine nicht elektrisch betriebene Tätigkeit kennt. Es ist dabei einer der großen Widersprüche dieser amerikanischen Gesellschaft, dass sie die Voraussetzung für diesen Lebensstil, eine zuverlässige Stromversorgung, nicht zu schaffen vermag. Das gleiche Phänomen ist aber auch in anderen Bereichen zu beobachten, in denen einst staatliche Infrastruktur zunehmend privatem Profitdenken überlassen worden ist: Im Telefon- und Straßensystem oder in der medizinischen Versorgung. Überall gibt es zwar Spitzenerzeugnisse und -leistungen. In der Breite aber findet sich vielerorts ein Zustand, der nicht weit über dem eines Dritte-Welt-Staates liegt.
Die Malaise der Energiewirtschaft der USA hat aber noch einen Namen, und der heißt Enron. Als Anfang 2002 die Betrügereien im Management des größten Energiehändlers der USA bekannt wurden und das Unternehmen mit Milliardenverlusten in die Pleite steuerte, kehrten die Anleger der ganzen Branche den Rücken. Das Vertrauen ist bis heute nachhaltig gestört, und Ereignisse wie das Blackout sind nicht dazu angetan, es wieder wachsen zu lassen.
Der Name Enron erinnert auch an ein weiteres ungesundes Merkmal des amerikanischen Systems, und das ist die enge Verflechtung zwischen Politik und Wirtschaft. Keine vorherige US-Regierung ist dabei so oft mit fragwürdigen Verbindungen in die Schlagzeilen geraten wie die des einstigen Energieunternehmers Bush. So zählt der Chef des betrügerischen Enron-Konzerns, Kenneth Lay, zu den engsten Freunden und den größten Spendern des Präsidenten, der ihn gerne Kenny-Boy nennt. 25 große Energiekonzerne haben Bush im Wahlkampf bevorzugt unterstützt. 18 von ihnen wurden von Vizepräsident Cheney - vormals Chef des Energiedienstleisters Halliburton - angehört, bevor dieser das energiepolitische Konzept der Regierung Bush vorlegte. Ein Konzept übrigens, das die Förderung erneuerbarer Energien halbierte, Öl- und Gasförderung in Naturschutzgebieten ermöglichte und der Rückbesinnung auf die Atomkraft das Wort redete. Ein Konzept, das im Ergebnis den größten Stromausfall der amerikanischen Geschichte produziert hat.
Es ist also nachvollziehbar, weshalb der Präsident wenig Neigung zeigt, diesem Bündel aus selbst verursachten oder dem politisch- ökonomischen System schlicht innewohnenden Problemen allzu viel Aufmerksamkeit zu verschaffen. Denn wer sich näher damit beschäftigt, könnte auch noch auf andere Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Supermacht USA stoßen. Und wer dabei ehrlich Bilanz zöge, könnte zu dem Ergebnis kommen: Es läuft nicht gut. Weder für diesen Präsidenten, der im Kampf gegen das Böse seine Mission gefunden zu haben glaubt. Noch für das Land, das nach dem Trauma des 11. September doch in dem Glauben gehalten wird, eine immer stärker werdende Nation zu sein, die aller Welt überlegen ist.
Ist es nicht eher so, dass die Vereinigten Staaten mit ihrer überwältigenden militärischen Übermacht doch nur weit unterlegene Gegner wie die Taliban in Afghanistan oder Saddam Husseins hoffnungslose Truppen ernsthaft bedrohen können? Und ist ein Land mit einem astronomischen Handelsbilanzdefizit, das auf ständige Kapitalzufuhr aus dem Ausland angewiesen ist, nicht auch ökonomisch ein Koloss, der auf schwachen Füßen steht?
Würden sich die EU-Staaten und Japan auf Wirtschaftssanktionen gegen die USA verständigen, hätten sie die Supermacht schnell bezwungen. Die Regierung Bush betreibt überdies mit ihren Kriegs- und Rüstungsprogrammen bei gleichzeitigen massiven Steuersenkungen eine hochgradig unsolide Haushaltspolitik, die in diesem Jahr zu einer Staatsverschuldung von 455 Milliarden Dollar führt.
Psychologisch befinden sich die USA seit dem 11. September vor bald zwei Jahren in einem Ausnahmezustand. Immer deutlicher wird, dass die schnellen militärischen Erfolge in Afghanistan und Irak, die dem Hypermachtimage so schmeichelten, nicht nachhaltig waren. Niederschmetternde Ereignisse wie das Unglück der Raumfähre Columbia, aber auch das Stromchaos an der Ostküste lasten auf der Seele eines Volkes, dem gerade von diesem religiös motivierten Präsidenten immer wieder gesagt wird, es sei das auserwählte. Es gibt mittlerweile viele Belege für die These, die USA seien zwar eine Supermacht. Aber eine, die sich im Niedergang befindet.
George W. Bush hatte bei seinem Presseauftritt in den Bergen eine Schaufel dabei. Weil er gerade ein Umweltprojekt besucht hatte, das sich mit der Rettung der Wälder beschäftigt. Er grub mit der Schaufel ein Loch in den Boden. Er sah aus wie einer, der noch mal neu anfängt. Aber wahrscheinlich sah er nur so aus.
quelle:berliner zeitung
Der Präsident tat so, als sei es nur ein kleiner technischer Defekt. Dabei rührt der Stromausfall in den USA an den Kern seiner Idee von Amerika
George W. Bush hat eine Lieblingspose. Es ist die des kernigen, angriffslustigen Führers. Dann reckt er das Kinn vor, die Augen werden schmaler und dieses irritierende Lächeln zuckt um den Mund. Er sagt dann Dinge wie: "Die räuchern wir aus!" oder: "Wir schlagen ihm die Waffen aus der Hand!" Dann ist klar, es geht gegen das Böse auf der Welt, gegen Osama Bin Laden, gegen Saddam Hussein, gegen die Feinde Amerikas, seiner Werte und seines Lebensstils. Als Ende vergangener Woche fast 50 Millionen Amerikaner einer entscheidenden Grundlage dieses Lebensstils - der Elektrizität - beraubt waren, erschien jedoch ein anderer Präsident auf den Fernsehschirmen.
Großartig war zwar die Kulisse, der Gipfel des Boney Mountain in den Bergen vor Santa Monica. Doch den Amerikanern präsentierte sich ein leicht verschwitzter George W. Bush im Freizeithemd, der sich dem größten Stromausfall in der Geschichte der USA fast beiläufig und nicht sonderlich engagiert zuwandte. "Wir müssen überprüfen, was falsch gelaufen ist, das Problem analysieren und eine Lösung finden", sagte der Präsident. Er sprach, als gehe es um einen kleineren technischen Defekt und nicht um den zeitweiligen Zusammenbruch wesentlicher Teile des Nervensystems der USA, der einzigen verbliebenen Supermacht, wie es doch immer wieder heißt. Eines Landes, dessen Regierung die Bevölkerung seit dem 11. September 2001 in ständiger Angst vor terroristischen Anschlägen hält. Die damit weit reichende Eingriffe in Bürgerrechte rechtfertigt. Und die nun zusehen musste, wie die Verwundbarkeit des Landes an einer entscheidenden Stelle aller Welt und natürlich auch interessierten Kreisen des internationalen Terrorismus demonstriert wurde.
Das erklärt die leisen Töne des Präsidenten. Kein fremder Feind war für dieses Desaster verantwortlich zu machen. Nicht einmal der Versuch, dem befreundeten Kanada den schwarzen Peter zuzuschieben, hatte Erfolg. Nein, diese Alltagskatastrophe war hausgemacht. Und schlimmer noch: Ihre Ursachen rühren an den Kern des amerikanischen Wirtschaftssystems und der Ideologie der herrschenden republikanischen Partei des Präsidenten: Es ist der unbedingte Glaube an die Privatisierung aller Infrastruktur und an die Kräfte des Marktes.
In den 90er-Jahren sind in den USA weite Bereiche des Strommarkts dereguliert worden. Private Konzerne übernahmen die Kraftwerke, nicht aber die schon damals völlig veralteten und überlasteten Leitungen. Weniger rentable Kraftwerke wurden geschlossen, so dass bei steigender Nachfrage das Angebot immer knapper wurde. Dringend erforderliche Investitionen in moderne Kraftwerke, Transformatoren und Leitungen unterblieben, weil höhere Strompreise zu ihrer Finanzierung in den USA angeblich politisch nicht durchsetzbar sind. Nun reicht ein einziger Kurzschluss oder ein Blitzeinschlag, um einen Zusammenbruch ungeahnten Ausmaßes auszulösen. Entgegen den Worten des Präsidenten ist also durchaus bekannt, was falsch gelaufen ist. Auch die Lösungen sind bekannt: Investitionen in die Infrastruktur, Programme für sparsameren Stromverbrauch und höhere Strompreise.
Doch niedrige Energiepreise gehören zum American Way of Life, der kaum eine nicht elektrisch betriebene Tätigkeit kennt. Es ist dabei einer der großen Widersprüche dieser amerikanischen Gesellschaft, dass sie die Voraussetzung für diesen Lebensstil, eine zuverlässige Stromversorgung, nicht zu schaffen vermag. Das gleiche Phänomen ist aber auch in anderen Bereichen zu beobachten, in denen einst staatliche Infrastruktur zunehmend privatem Profitdenken überlassen worden ist: Im Telefon- und Straßensystem oder in der medizinischen Versorgung. Überall gibt es zwar Spitzenerzeugnisse und -leistungen. In der Breite aber findet sich vielerorts ein Zustand, der nicht weit über dem eines Dritte-Welt-Staates liegt.
Die Malaise der Energiewirtschaft der USA hat aber noch einen Namen, und der heißt Enron. Als Anfang 2002 die Betrügereien im Management des größten Energiehändlers der USA bekannt wurden und das Unternehmen mit Milliardenverlusten in die Pleite steuerte, kehrten die Anleger der ganzen Branche den Rücken. Das Vertrauen ist bis heute nachhaltig gestört, und Ereignisse wie das Blackout sind nicht dazu angetan, es wieder wachsen zu lassen.
Der Name Enron erinnert auch an ein weiteres ungesundes Merkmal des amerikanischen Systems, und das ist die enge Verflechtung zwischen Politik und Wirtschaft. Keine vorherige US-Regierung ist dabei so oft mit fragwürdigen Verbindungen in die Schlagzeilen geraten wie die des einstigen Energieunternehmers Bush. So zählt der Chef des betrügerischen Enron-Konzerns, Kenneth Lay, zu den engsten Freunden und den größten Spendern des Präsidenten, der ihn gerne Kenny-Boy nennt. 25 große Energiekonzerne haben Bush im Wahlkampf bevorzugt unterstützt. 18 von ihnen wurden von Vizepräsident Cheney - vormals Chef des Energiedienstleisters Halliburton - angehört, bevor dieser das energiepolitische Konzept der Regierung Bush vorlegte. Ein Konzept übrigens, das die Förderung erneuerbarer Energien halbierte, Öl- und Gasförderung in Naturschutzgebieten ermöglichte und der Rückbesinnung auf die Atomkraft das Wort redete. Ein Konzept, das im Ergebnis den größten Stromausfall der amerikanischen Geschichte produziert hat.
Es ist also nachvollziehbar, weshalb der Präsident wenig Neigung zeigt, diesem Bündel aus selbst verursachten oder dem politisch- ökonomischen System schlicht innewohnenden Problemen allzu viel Aufmerksamkeit zu verschaffen. Denn wer sich näher damit beschäftigt, könnte auch noch auf andere Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Supermacht USA stoßen. Und wer dabei ehrlich Bilanz zöge, könnte zu dem Ergebnis kommen: Es läuft nicht gut. Weder für diesen Präsidenten, der im Kampf gegen das Böse seine Mission gefunden zu haben glaubt. Noch für das Land, das nach dem Trauma des 11. September doch in dem Glauben gehalten wird, eine immer stärker werdende Nation zu sein, die aller Welt überlegen ist.
Ist es nicht eher so, dass die Vereinigten Staaten mit ihrer überwältigenden militärischen Übermacht doch nur weit unterlegene Gegner wie die Taliban in Afghanistan oder Saddam Husseins hoffnungslose Truppen ernsthaft bedrohen können? Und ist ein Land mit einem astronomischen Handelsbilanzdefizit, das auf ständige Kapitalzufuhr aus dem Ausland angewiesen ist, nicht auch ökonomisch ein Koloss, der auf schwachen Füßen steht?
Würden sich die EU-Staaten und Japan auf Wirtschaftssanktionen gegen die USA verständigen, hätten sie die Supermacht schnell bezwungen. Die Regierung Bush betreibt überdies mit ihren Kriegs- und Rüstungsprogrammen bei gleichzeitigen massiven Steuersenkungen eine hochgradig unsolide Haushaltspolitik, die in diesem Jahr zu einer Staatsverschuldung von 455 Milliarden Dollar führt.
Psychologisch befinden sich die USA seit dem 11. September vor bald zwei Jahren in einem Ausnahmezustand. Immer deutlicher wird, dass die schnellen militärischen Erfolge in Afghanistan und Irak, die dem Hypermachtimage so schmeichelten, nicht nachhaltig waren. Niederschmetternde Ereignisse wie das Unglück der Raumfähre Columbia, aber auch das Stromchaos an der Ostküste lasten auf der Seele eines Volkes, dem gerade von diesem religiös motivierten Präsidenten immer wieder gesagt wird, es sei das auserwählte. Es gibt mittlerweile viele Belege für die These, die USA seien zwar eine Supermacht. Aber eine, die sich im Niedergang befindet.
George W. Bush hatte bei seinem Presseauftritt in den Bergen eine Schaufel dabei. Weil er gerade ein Umweltprojekt besucht hatte, das sich mit der Rettung der Wälder beschäftigt. Er grub mit der Schaufel ein Loch in den Boden. Er sah aus wie einer, der noch mal neu anfängt. Aber wahrscheinlich sah er nur so aus.
quelle:berliner zeitung