Giacomo_S
Prinz der Gnade
- 13. August 2003
- 4.324
Auch die Wirkmechanismen der Medikamente sind oft unklar, die Forschung dazu basiert m.W. nicht zuletzt auf Zufallsfunden und einfachem Trial & Error.
Ich bezweifle nicht, dass sich in den Kenntnissen der Wirkmechanismen seit den letzten 20 Jahren und der Molekularbiologie einiges verbessert hat. Aber die allermeisten Psychopharmaka wurden wie o.g. entwickelt und/oder in Veränderung bereits bekannter Substanzen.
Was mich an diesem Thema im Grunde ängstigt, das sind vor allem ethische Fragen, und zwar in dem Fall, wo man es sich eben nicht mehr aussuchen kann, ob man solche Substanzen nimmt oder nicht.
Unter allen psychoaktiven Substanzen gibt es zwei anorganische Elemente die psychoaktiv wirken, Arsenik und Lithium. Arsenik wird niemand mehr empfehlen, Lithium wird aber bis heute zur Behandlung psychischer Krankheiten eingesetzt.
Unlängst wollen britische Forscher herausgefunden haben, dass es in Regionen, in denen Lithium natürlicherweise im Trinkwasser vorkommt, zu weniger Selbstmorden kommt. Das hat dann prompt einige unter ihnen zu der Empfehlung veranlasst, man könne dem Trinkwasser ja auch geringe Mengen Lithium zusetzen, zum Wohle der Volksgesundheit.
Daran missfällt mir zum Einen die Eindimensionalität einer solchen Behauptung, zum Anderen die Tatsache, dass es nicht mehr in meiner freien Entscheidung läge, ob ich nun Lithium nehme, oder eben nicht. Denn am Trinkwasser kommt ja niemand wirklich vorbei. Dann kann man auch sagen, tun wir doch gleich Prozac ins Trinkwasser und dann gibt es überhaupt keine Selbstmorde mehr.
Aber selbst mit der "Freiwilligkeit" einer Medikamenteneinnahme ist das so eine Sache ...
Ein relativ neues Gebiet der Ethik, die sog. Neuroethik befasst sich u.a. auch mit diesem Thema.
Nehmen wir einmal an, es gäbe ein hypothetisches Medikament, eine Art "Super-Prozac": Praktisch nebenwirkungsfrei steigert es die physische und psychische Leistungsfähigkeit. Wer es nimmt, der fühlt sich nicht nur besser, er ist auch ausgeglichener und vor allem belastbarer. Was für Gründe sollte es da also geben, warum nicht auch ein gesunder Mensch es nicht nehmen sollte? Zumal sich dann auf Dauer zeigt: Er ist im Berufsleben auch erfolgreicher, z.B. als Mitarbeiter im Verkauf oder Vertrieb.
Klar wird es heissen: Niemand kann dich zwingen, dass Super-Prozac zu schlucken, aber ist dem wirklich auch so?
Wir alle stehen im Berufsleben auch in irgendeiner Art Konkurrenz miteinander. Und da könnte es die eine Gruppe geben, die das Super-Prozac nimmt und erfolgreicher ist und die andere, die das ablehnt und als weniger erfolgreiche Grantler dasteht. Wer wird sich da am Ende durchsetzen?
Noch ist das alles nur eine düstere Dystopie, Gottseidank. Man muss jemanden als krank diagnostizieren, wenn man ihn medikamentieren will.
Aber man kann ja auch Krankheiten ... erfinden.
Das Medikament Modafinil, ein Wachmacher, wurde ursprünglich zur Behandlung der Narkolepsie entwickelt. Nur gibt es leider nicht so viele Narkoleptiker und damit ist der Markt klein. Man kann aber eine neue Krankheit definieren und genau das hat man z.B. in den USA dann getan. Die Work-Sleep-Disorder betrifft hauptsächlich Schichtarbeiter, und Modafinil soll ihnen dabei helfen, damit besser klar zu kommen.
Ach, Schichtarbeiter haben Leistungsprobleme und schlucken Pillen, um ihre Schichten besser zu schaffen? Ach ehrlich, erzählt uns mal was Neues!