Giacomo_S
Prinz der Gnade
- 13. August 2003
- 4.327
Och nö, bitte nicht, Giacomo. Oder ... hast Du ein Beispiel für ein politisches Element in der Mathematik?
Bereits Thales (624-548 v.Chr.) leitete aus der Beobachtung, dass die Natur Gesetzen folgt (Geometrie), die Aussage ab, dass wenn die Natur Gesetzen folgt, auch der König Gesetzen folgen müsse.
In unseren Zeiten haben Firmen wie Cambridge Analytica mittels letztlich mathematischer Methoden Wahlen ganzer Länder manipuliert, die Präsidentschaftswahl in den USA und möglichweise auch das Referendum um den Brexit, was CA allerdings dementierte.
Die mehr als 100 Algorithmen der Google-Suchmaschine sollen in einem Tresor liegen, auf den nur Larry Page und Sergey Brin in vollem Umfang Zugang haben und sind darüber hinaus Firmengeheimnis. Google stellt, weltweit, einen Markanteil von 92% aller Suchmaschinen und beeinflußt damit den Informationsgewinn und auch die Meinungen vieler Menschen ...
... alles keine Mathematik, keine Politik?
Die Mathematik ist ein Gedankengebäude, das in sich vollkommen schlüssig und logisch ist, und in dem sich ein Stein bruchlos an den anderen fügt, von der popeligsten Addition einstelliger natürlicher Zahlen bis zur wüstesten und für normale Menschen wie mich unlösbaren Differentialgleichung. Für irgendwelche politischen Ambitionen und Geschmäckle ist da überhaupt kein Platz.
Gerade in ihrer Anwendung ist die Mathematik keineswegs so vollkommen schlüssig und logisch - insbesondere nicht in ihrer Anwendung auf Computern.
Wir neigen dazu, Computer im Rechnen für unfehlbar zu halten, aber das ist nicht der Fall, oder um es genauer zu sagen: Wir unterschätzen oft die Fallstricke von den überlicherweise von Computern verwendeten Zahlendarstellungen.
Und wie ich es jetzt bei meiner Studentin sehe, ist die Rolle des Mathematikers so in etwa die des Hausmeisters in diesem Gedankengebäude, der dafür sorgt, dass es auch weiterhin schön bruchlos logisch und folgerichtig passt. Jedes einzelne Bausteinchen in dem Gebäude ist säuberlichst begründet und bewiesen. Die ungelösten Probleme, die es da gibt, spielen sich auf einem Level ab, bei dem man als Unbedarfter noch nicht mal mit der Fragestellung etwas anfangen kann und jenseits von allem, was in dieser Diskussion hier eine Rolle spielen könnte.
Ich habe mal ein Buch eines amerikanischen Autors über die Mengentheorien Georg Cantors gelesen - zugebenermaßen einigermaßen populärwissenschaftlich - das war alles gar nicht einmal so unverständlich, wenn auch visionär. Es zeigt sich, dass da an den Fundamenten des Gebäudes keineswegs alles so "säuberlichst begründet und bewiesen" ist. Und zu seiner Zeit haben Cantors durchaus verständliche, teils ganz einfache Beweise zu den wütesten Reaktionen seiner Zeitgenossen geführt, selbst alles hochrangige Mathematiker. Das war denen alles zu "jüdisch", und das, obwohl Cantor in der 3. Generation Protestant war.
Einmal habe ich in der Bayerischen Staatsbibliothek einen Vortrag eines Mathematikers zum Thema "Beweisführung in der Mathematik" gehört. Er stellte u.a. einen Fall dar, wo jemand zufällig einen als bislang gültigen anerkannten Beweis als fehlerhaft identifizierte; aber auf amerikanischer Seite wollte man dies nicht anerkennen, und zwar aus "politischen" Gründen nicht.
Leider konnte ich meine Frage nach Cantor Kontinuitätshypothese nicht stellen, denn dessen Scheitern stellt eine logische Beweismethode zumindest in Frage, die in der Mathematik seit min. 2.500 Jahren angewendet wird (der Beweis durch das ausgeschlossene Dritte). Denn wenn es bereits an der Basis (der Zahlentheorie) unentscheidbare Aussagen geben kann, wie kann man dann sich auf die ausschließliche Existenz von den zwei logischen Kategorien "wahr" und "falsch" beziehen?
Ein Beispiel dafür sind etwa die Temperaturverläufe der Klimasimulationsrechnungen, die ihre numerischen Artefakte als ernstzunehmende Ergebnisse und follow-the-science! verkaufen. Unseriöser geht es nicht mehr.
Damit stehen sie aber nicht allein da.
Vielmehr handelt es sich um die grundlegende Problemstellung, allein aus Daten ohne zusätzliches Hintergrundwissen etwas ableiten zu wollen. "Big Data" ist da oft derselbe Unfug: Man erfasst viele Daten und versucht daraus ein "Signal" zu errechnen, erfasst dabei aber nur das "Rauschen". Es entsteht ein sog. "überangepasstes Modell", das nur bis zum Ist-Zeitpunkt stimmt, aber keinerlei Prognose erlaubt.
Genau das haben aber Geldinstitute in den 2008er Jahren auch gemacht und damit die Immobilienkrise ausgelöst, die Bankhäuser in den Ruin getrieben hat und ganze Volkswirtschaften mit dem Kollaps bedroht hat - ausgestanden ist das letztlich noch immer nicht. Ausgehend von vereinfachten, falschen Modellen von Risikobewertung.
Das ist nicht politisch? Ich denke, schon.