Giacomo_S
Prinz der Gnade
- 13. August 2003
- 4.327
Ein wilder Jäger schrieb:Bei uns schließt gerade die ganze gehobene Gastronomie, jedenfalls soweit deutsch. Da machen jetzt vier quasi auf einen Schlag zu. Der Spanier hält noch durch.
Ich sehe da eine Reihe von Gründen - an denen nicht zuletzt auch die Gäste selbst eine Mitschuld tragen.
1. Schwankungen
In der Gastronomie hatten wir schon immer mit Schwankungen im Gästeaufkommen zu leben. Früher war es allerdings mit der Erfahrung und grob Pi mal Daumen einschätzbar, wieviele Gäste denn etwa kommen werden. Heutzutage ist es schwierig geworden, an einem Tag rennen Dir alle die Bude ein, am Tag drauf lässt sich keiner blicken. Und keiner blickt durch, woran das eigentlich liegt.
Eine Spitzengastronomie ist aufwändig in der Vorbereitung, und man muss die Waren auch da haben. Kommt keiner, dann kannst Du eigentlich alles nur noch wegwerfen - in der Spitzengastronomie ist das aber eine teure Vorgehensweise.
Ich arbeite in einer gehobenen Küche mittags (wo der Zeitrahmen naturgemäß knapp ist), allerdings keiner Spitzengastronomie. Um mit diesen praktisch nicht mehr kalkulierbaren Schwankungen umgehen zu können, koche ich soviel als möglich à la minute. Kommen weniger Gäste als erwartet, dann kann ich die Waren immerhin noch irgendwie anders verwursten. Kommen mehr Gäste als erwartet, dann muss ich eben Gas geben ... und die Gäste ggf. auch warten. In der Mittagsküche ist das nicht unproblematisch, dafür ist die Qualität des Essens aber in jedem Fall besser.
Wir haben auch täglich Reservierungen, nur ist der Informationsgewinn aus diesen oft nur relativer Natur. Da kommt eine ganze Reservierung von etwa 15 Personen deutlich später oder auch schlicht gar nicht- und sagt nicht einmal ab. Dafür kommen spontan 17 andere Gäste, ohne Reservierung. Da kann man den Gästen im Grunde nur sagen: Nehmt Platz, wir machen alles so gut wie möglich und gern ... aber auch wir sind nur Menschen.
Fazit: Die Gäste sollten, sagen wir ab ca. 6 Personen, reservieren - und sie müssen sich an ihre Reservierungen auch halten und pünktlich kommen! Ein mir bekannter Ire erzählte mir kürzlich: Wenn Du in Dublin reservierst, dann geht das nur mit Kreditkarte, und wenn Du nicht kommst, dann werden 50€ fällig. Für Deutschland ist das branchenunüblich ... noch. Denn bei uns gilt noch Treu & Glauben, und eigentlich wollen wir doch alle, dass dies auch so bleibt.
2. Ernährungsspezifische Befindlichkeiten
In zunehmendem Maße wollen Gäste ihre ernährungsspezifischen Allüren ausleben - Allergien, Gluten, Laktose, vegan ... um nur die wichtigsten Baustellen zu nennen. Das gab und gibt es alles, allerdings bezweifle ich ganz bestimmt das Ausmaß, in dem es gelebt wird. In der Praxis bewirkt es oft, das dieses nicht geht und jenes nicht, und Minderheiten am Ende bestimmen, was alle anderen denn zu essen hätten.
Jede Vorgabe an die Ernährung mag ihre einzelne Berechtigung haben. Wie ich in einer früheren Tätigkeit als Diätkoch schon feststellte: Werden alle möglichen Einschränkungen miteinander kombiniert, dann kommt am Ende eben auch nur der kleinstmögliche Nenner dabei heraus. Wenn aber die Gäste die Inhalte bestimmen, dann ist eine kreative Spitzengastronomie eben auch nicht mehr möglich.
Ein anderes Beispiel:
Für Salate verwende ich eine weiße Vinaigrette, ich würde aber auch gern zur Abwechslung mal andere Dressings anbieten. Ein Dressing auf Basis von Joghurt scheidet aus, wegen dem Tamtam um Laktose (was, nebenbei, bei Joghurt völlig bedeutungslos ist). Ein Dressing auf Basis einer Mayonnaise scheidet auch aus, wegen Hygiene-Bedenken (was, nebenbei, auch völlig bedeutungslos ist). Eine Vinaigrette auf Basis von Olivenöl ist für mich nich gut zu handeln, da es im Kühlschrank fest wird ... also lande ich am Ende bei immer derselben weißen Rapsöl-Vinaigrette (die ich aber immerhin mit Senf und Gemüsebrühe auf ein gewisses Niveau hebe und auch gut bei unseren Mittagsgästen ankommt).
Fazit: Lt. der ernährungswissenschaftlichen Literatur sind 0,5-1% aller Menschen von einer Glutenunverträglichkeit (Zöliakie) betroffen. Eine mit Mehl gebundene Sauce hat einen Gehalt von 0,5% Gluten. Ich darf keine Saucen mehr mit Mehl binden, wg. eines Glutengehaltes von 0,5%, um 1% meiner Gäste zu schützen. Geht's noch?
3. Die Mitarbeiter und ihre Qualifikation
Dies schliesst an Punkt 2. an: Sicher, ich kann zu ernährungsspezifischen Inhalten auf Fragen auch etwas verbindliches sagen. Ich beschäftige mich auch seit 30 Jahren damit, und wenn es sein muss, dann kann ich den Gästen auch DAS deutsche Standardwerk zum Thema um die Ohren hauen.
Im Grunde sollte aufgrund seiner Ausbildung auch jeder andere deutsche Koch dazu in der Lage sein ... nun ... vielleicht.
Unser Nachwuchs ist einfach nicht (mehr) so intellektuell bewandert (und sie scheitern oft auch an viel simpleren Problemstellungen).
Kürzlich wünschte sich einer unser Cateringkunden: Man habe bei der Veranstaltung viele internationale Gäste, man wünsche sich Mitarbeiter, die vor Ort zu den Speisen auch auf Englisch etwas zu sagen hätten. Einerseits verständlich, andererseits: Wenn ihr in euren Reden mit der Beschäftigung eines Inklusionsbetrieb glänzen wollt ... in dem Menschen mit Behinderung arbeiten ... nun, dann ist spätestens das definitiv zuviel verlangt. Und wenn dann Gäste aus Italien und Frankreich anwesend sind, dann sollen wir natürlich auch noch Französisch und Italienisch sprechen, denn die sind dann des Englischen auch nur bedingt fähig.
Viele deutsche Spezialitäten lassen sich letztlich auch überhaupt nicht übersetzen: Ochsenbacken mit Spätzle sind, was sie sind, was sollen wir den Leuten denn sagen? Beef with German Noodles?
Fazit: Du bist zu Gast in DEUTSCHLAND und hier wird DEUTSCH gesprochen. Begib Dich in die Rolle eines höflichen und bescheidenen Gastes und iss, was Dir angeboten wird. Vertraue darauf, dass das, was man Dir anbietet, auch gut sein wird (und angesichts des Niveaus des Gastgebers und Veranstalters sollte dies ja wohl keine Frage mehr sein).
Im Übrigen: Ist man in praktisch jedem anderen Land der Welt zu Gast, dann macht man das doch auch: Man ist ein guter Gast, lässt sich bewirten und isst, was da gerade aufgetischt wird.Und wenn man ein leeres Glas hat, dann zeigt man es hoch und der Kellner wird ein neu gefülltes bringen. Was soll sein?
Aber warum sollen eigentlich wir Deutschen immer die eierlegenden Wollmilchsäue sein?
4. Die Etikette
Auf eine strenge Etikette wird schon lange kein Wert mehr gelegt - damit rennt man uns offene Türen ein. Bei mir sitzen aber tagtäglich Menschen, die sich für gebildet halten mögen, mit Wollmützen auf dem Kopf und Jacken am Tisch. Die traditionellen Brotkörbe gebe ich überhaupt nicht mehr aus. Man kann sie nicht spülen und zu oft legen die Gäste ihre verrotzten Taschentücher hinein. Gestern bestellte jemand einen Schweinsbraten mit zweierlei Knödeln und Krautsalat, ein bayerischer Klassiker, aß das Fleisch und ließ die Beilagen völlig unberührt. Häää?
Warum bestellt er es dann?
Vllt. war er ein ausländischer Gast ... aber nicht einmal die Knödel probiert?
Fazit: Auch wenn Du als Gast allein kommst, so bist Du im Lokal nicht allein.